Herzschmerz
Ihr Herz blutete. Verblutete. Innerliche Wunden, die niemand sehen und nur sie spüren konnte. Jetzt zählte jede Sekunde. Sporadisch wurden Pflaster auf das zerschrammte Ding gegeben, um es zusammenzuhalten. In Windeseile zog sie Mauern um das sterbende Organ auf. Eine Schicht Graphin, die sich wie der Handschuh, den sie nie von ihm bekommen würde, anschmiegte. Danach kam Titan, denn wenn es in Handys verwendet wurde, musste es auch ihr helfen. Schneller, schneller, es fehlten noch Schichten. Sie war zu verletzlich, der Bau der Mauern durfte nicht so lange dauern. Klassische Betonmauern fuhren hoch und auch noch Osmium, um sie daran zu erinnern, dass es nichts Kostbareres gab, als ihr Herz zu schützen. Schließlich verbogen sich einige Glasschichten drumherum. Einzeln konnten sie töten, doch dicht aufeinander geschweißt retteten sie Leben. So verpackt ließ ihr Herz sie wieder zum Leben erwachen. Mit neuem Mut, der gefährlich nah am Grat der Resignation gefasst worden war, schälte sich aus ihrem Bett, fasste ihre Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen und zog ihre orange Lieblingshose an. Jene Hose, die alle hässlich fanden, und die sie dadurch auch ein wenig negativ wahrnahm. Als Accessoire setzte sie ihr Pokerface auf und dann lief sie einfach drauflos. Wohin wusste sie noch nicht so genau, Hauptsache weg. Dabei konnte sie ihrem größten Feind, ihrem eigenen Kopf, nicht entfliehen, selbst wenn sich die Bäume links und rechts neben ihr zu verschwommenen Grünflecken in ihren Augenwinkeln verzogen. Gedanken, über Gedanken rasten durch sie hindurch. Wäre sie doch bloß hier oder dort oder am Tag des 11. Julis anders an die Sache rangegangen. HÄTTE SIE BLOß IHREN MUND AUFGEMACHT UND IHN VOR DER BLONDINE ANGESPROCHEN. Ein wütender Schrei entfuhr ihr, während der Kies unter ihren Füßen zu Laub und Wurzeln überging. Achtlos rannte sie weiter, blieb an einem Stück Natur hängen und konnte ihren von Adrenalin getriebenen Körper nicht mehr bremsen, als er unaufhaltsam dem Boden entgegen raste. Zitternd blieb sie liegen, als sie merkte, dass es zu nieseln begonnen hatte und der feine Wasserschleier sich mit ihren Tränen vermischte, von denen sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte ob der Schmerz oder die Wut sie ausgelöst hatten. Nach einigen Minuten befiel sie eine seltsame Ruhe, ihr Kopf wurde langsamer, die Muskeln lösten sich aus ihren Verkrampfungen. Wer war sie schon, dass sie wegen eines Jungen, mit dem sie eine einzelne Tanzstunde verbracht hatte, weinte? Warum gab sie ihm so viel Macht über sich, dass es ihr schwergefallen war an jenem Morgen aus dem Bett zu kommen? Sollte nicht er trauern, dass er das andere Mädchen anstatt ihr gewählt hatte? Auch die Blondine, die diesem kleinen Mann mit noch kleinerem Ego zum Opfer gefallen war, hatte es schwerer als sie. Sie hasste sich ein wenig für diesen Gedanken, doch er brachte sie dazu sich aufzurappeln, notdürftig die Erde abzuwischen und entschlossen mit ihrem geschützten Herzen weiterzulaufen.
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