Höhenflugvon Julia Lückl
Man muss nur jonglieren können, sagt sie, nur die Bälle hochwerfen und wieder fangen und wieder hochwerfen. Man muss den einen Ball werfen und sich dabei schon auf den nächsten konzentrieren, also am besten auf beide.
Man muss nicht nein sagen können, sagt sie, man muss eben nur gut genug jonglieren können, dann braucht man auch nie nein zu sagen. Man kann lächeln und sich neue Bälle geben lassen, bis es immer mehr sind, immer mehr, und dann kann man stolz sein, weil man so schön jonglieren kann.
Man kann an neuen Aufgaben wachsen, sagt sie, wenn man nur gut genug jonglieren kann, dann kann man daran wachsen und groß werden. So groß, bis alle sehen, dass man alles kann, wenn man nur will, und alles hat, wenn man sich nur bemüht.
Wenn man wirft, muss man hoch genug werfen, damit alle sehen, wie gut man jonglieren kann. Man muss kunstvoll und geschmeidig werfen und fangen und zeigen, dass man alles im Griff hat, immer nur wirft und fängt, niemals etwas fallen lässt. Man muss dabei lachen, die ganze Zeit, und zeigen, dass das Jonglieren Freude macht. Auch wenn die Hände müde werden, auch dann muss man lachen und werfen.
Man darf nicht an die müden Hände und das verkrampfte Lachen denken, nur an die Bälle in den Händen. Man muss sich konzentrieren, die Angst vor dem Fangen und dem Werfen verdrängen. Den Wunsch aufzuhören und die Angst zu versagen auch. Man darf nur nicht daran denken, sagt sie. Man darf nur an die Bälle in der Luft und die Bälle in den Händen denken.
Man muss nur alles ausblenden rund herum, alles, nur die Bälle nicht. Sich selbst, die Hände, das Lachen, alles ausblenden. Nur die Bälle nicht, nur bitte die Bälle nicht, sagt sie und sie sagt es nur zu sich, weil sie sonst niemand hört, weil alle nur die Bälle sehen, die im Kreis durch die Luft von Hand zu Hand fliegen, fallen, fliegen. Höher, immer höher. Mehr, immer mehr.
Man merkt nicht, als sie nichts mehr sagt. Man merkt es erst, als die Bälle nicht mehr fliegen.
Man muss nur jonglieren können, sagt sie, aber man hört sie nicht, man sieht nur die Bälle, die dort auf dem Boden liegen, ganz unten, dort, wo sie nie war und nie sein wollte. Dort, wo alles neu für sie ist und wo es keine fliegenden Bälle gibt und auch keine fallenden und wo sie nicht wirft und nicht fängt und nicht Angst hat, nicht zu fangen. Dort liegt sie und man weiß nicht warum.
Man sagt ihr, sie könne einfach aufstehen, weiterjonglieren. Man sagt, sie könne gut jonglieren. Aber sie bleibt, wo sie ist, will nicht hinauf, nicht hinunter, man weiß nicht warum.
Man fragt sich, warum sie plötzlich so unglücklich ist.
Sie hatte doch alles.
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