Himmel oder Hölle?
Als wir herkamen, hatten meine Eltern paradiesische Vorstellungen. Doch nicht nur sie. Alle dachten so. Hier gab es alles im Überfluss. Nahrungsmittel, Spielzeuge, Autos. In allen Farben, Größen und Formen. Ich muss zugeben, dass selbst ich mich fragte, ob das der Himmel sei.
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Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Ich will nicht, dass jemand mich so sieht. So nackt. Seit ich hier bin, habe ich das Gefühl, für all das verabscheut zu werden, was mich ausmacht. Meinen Namen, meine Herkunft, meinen Glauben. Nur mit meinem Charakter verhält es sich anders, denn die Meisten kommen gar nicht dazu, ihn kennen zu lernen. Ehrlich. Alle scheinen von mir zu erwarten, dass ich mich anpasse, dass ich dazugehöre. Und alle scheinen genau das nicht zu wollen. Irgendwie ist das schon ziemlich widersprüchlich. Und was will ich? Eigentlich gar nicht hier sein. Wieder zurück nach Hause, wo man mich nicht für das verurteilt hatte, wer und was ich war. Wo ich glücklich gewesen war.
Klar sagt man mir, dass ich auch hier meinen Glauben ausleben dürfe. Ich dürfe die Moschee besuchen, beten und nach dem Koran leben. Nur das Kopftuch. Mit dem Kopftuch ist das so eine Sache. Zuhause, in Arabien, hatte jeder eines getragen und man war deswegen nicht aufgefallen. Doch hier fällt man gerade auf, weil man es trägt. Und nach meinen Erfahrungen trägt das nicht gerade dazu bei, dass man mich mag.
Viele schleudern mir in der Schule böse Worte entgegen, die mich auch in meinen Träumen verfolgen. Normalerweise bin ich ein sehr ruhiger, gelassener Mensch. Bin viel gewohnt – kann viel aushalten. Doch irgendwann ist es selbst für mich einmal genug. Eines Tages lasse ich die Beschimpfungen nicht wortlos über mich ergehen, ich wehre mich. Und dann sehe ich auf einmal gar nichts mehr. Man hat mir etwas über den Kopf gestülpt. Es ging so schnell, dass ich nicht erkennen konnte, wer das gewesen war. Kurz darauf verspüre ich einen großen Druck auf meinem Bauch, der einem dumpfen Schmerz weicht. Ein Tritt. Dann ein Stoß in die Seite. Es tut so weh. Äußerlich, aber viel mehr innerlich. Adrenalin schießt durch meinen Körper und ich beginne, um mich zu schlagen, aus Angst, was noch folgen würde. Ich schlage und trete – nach etwas, nach jemandem. Und ich treffe mein Ziel, nutze den Moment zur Flucht.
Als ich am nächsten Tag in die Schule komme, werde ich zum Rektor gerufen. Ich werde tatsächlich angeklagt, meine Mitschüler verprügelt zu haben und alles – alles, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe, trifft auf Ablehnung. Mir geht es ja gut. Meine armen Mitschüler dagegen hätten überall blaue Flecken sowie starke Schmerzen. Was soll ich machen? Zeugen gibt es keine. Es steht mein Wort gegen das meiner Mitschüler. Äußerlich mag ich vielleicht unversehrt sein, aber meinen inneren Schmerz kann niemand sehen.
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Und in dem Himmel, in dem ich mich anfangs geglaubt hatte zu befinden, sind mittlerweile dunkle Wolken aufgezogen. Alles hat sich verdüstert. Mein Himmel ist zur Hölle geworden.
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