Hängen
Blut schießt mir in den Kopf. Über den Bauch in die Brust, über den Hals in den Kopf. Warum lasse ich nicht los? Mir wäre es egal. Einer Menge anderer auch. Ich denke sogar, es wäre fast jedem egal. Dazu kommt noch die Neugier: Was wird passieren, wenn ich da unten aufschlage? Also warum nicht loslassen?
Die untergehende Sonne scheint mir ins Gesicht, ich sehe direkt hinein. Eine Rote Kugel, die sich ausbreitet und verklingt, zuerst orange, dann blau, dunkelblau und schwarz. So wirkt sie wie ein Fenster, ein Fenster zu einer besseren Welt, aber zugleich verblassend und abweisend hinter zugemachten Augen. Ein magischer Moment. Fast möchte ich mich wieder hinaufziehen, entsinne mich aber doch eines Besseren. Warum lasse ich nicht los? Genau an so einem Moment wäre es perfekt. Aber ich verharre, möchte noch ein bisschen bleiben, wie so oft davor.
Eine letzte Hoffnung, ich sehe mich um. Niemand da, niemand, um mich zu beobachten oder davon abzuhalten. Niemand, um meine Gedanken mit mir zu teilen und mir beizustehen, mich zu verstehen und mit mir zu reden. Leere Hoffnungen, wie ich sie mir früher immer gemacht habe. Und ich wurde immer wieder enttäuscht. Enttäuscht von Menschen, die ich liebe oder liebte, von denen ich anderes erwartet hätte. Früher dachte ich immer, ich wachse aus so etwas. Ich bin tatsächlich gewachsen, habe gelernt, manchen Menschen nicht zu vertrauen, habe eine Menge Erfahrung gesammelt, aber tief im inneren bin ich mit jedem Schlag geschrumpft. Mit der Zeit hörte ich auf zu hoffen, zu hoffen, dass irgendwann einmal noch ein Wunder geschieht und eine Person in meinem Leben auftaucht, die nie mehr abtauchen wird, jemand, auf den man sich verlassen kann, jemand, der einen nicht verlässt, wenn man ihn am meisten braucht. Jeder Mensch braucht eine solche Person, sonst hört auch dieser irgendwann zu hoffen auf.
Ich lasse los, die Beine rutschen von der kalten Metallstange herunter, falle, treffe mit dem Rücken auf dem Boden auf, ein kurzer Schmerz und alles wird schwarz. Nach kurzem Herumliegen öffne ich meine Augen wieder, rapple mich auf, werfe noch einen letzten Blick auf den nun dunklen Spielplatz und gehe.
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