Hoffnungslos
Als ich die Tür aufstoße, umgibt mich Rauch. Ich muss husten. Der Lärm, der unten zu hören war, hat sich gelegt, nur ab und zu höre ich etwas einstürzen, mal in der Nähe, mal weiter weg. Aber das scheinen keine Bomben mehr zu sein. Wahrscheinlich sind es Häuser, die, zwar schon vorher von Bomben getroffen, jetzt erst der Schwerkraft nachgeben. Ich versuche nur durch die Nase zu atmen. Der Staub und der Rauch sind so dick, dass meine Augen tränen und die Nase nach mehrmaligem Einatmen verstopft. Ich schließe die Augen. Tastend drehe ich mich um hundertachtzig Grad; ich will zurück in den Bunker. Ich spüre nur Staub an meinen Fingerspitzen. Der Notstromgenerator treibt noch die Klimaanlage an, ich höre sie. Ich werde warten, bis sich der Staub gelegt hat. Als ich unten angekommen bin, öffne ich die Augen. Sie brennen noch immer. Ich höre dem Radiomenschen zu. Er hat mir auch vorhin gesagt, dass ich raus kann, dass es sicher ist. Er klingt immer noch euphorisch. Warum? Er spricht davon, dass es nun vorbei sei, dass ein neues Zeitalter anbreche. Der Staub in der Luft sieht nicht nach einem neuen Zeitalter aus. Ich gehe wieder nach oben. Der Moderator meint, es habe angefangen zu regnen. Der Staub wird aus der Luft gewaschen werden.
Als ich die Tür aufstoße, umgibt mich Regen. Ich spüre die Tropfen auf der Haut, sie brennen. Ich sehe mich um, die Luft wird langsam klarer. Es schüttet wie aus Eimern, und ich sehe trotz der nassen Bindfäden mehr als vorhin im Staub. Überall strömen die Menschen zwischen den Ruinen hervor. Sie sehen froh aus. Anders als ich mich fühle. Bis sie sich umsehen. Sie haben dem Radiomoderator geglaubt. Sie haben auf Neuland gehofft. Sie haben Ödland gefunden. Sie sehen die Leichen, die Leichenteile, die Blutspuren überall. Sie sehen kleine Leichen, große Leichen, alle überdeckt vom mittlerweile schlammigen Staub. Eine Frau liegt da, hält den winzigen Arm eines Säuglings noch in ihrer Hand, fest umklammert. Der Rest des Kindes ist rechts von ihr verstreut. Ich sehe es, und mir dreht es den Magen um ob der Zukunft, die da auf mich zukommt. All die Leichen werden bald durch den Regen zu faulen und zu stinken anfangen. Und ich weiß, dass die Menschen trotzdem weiter hoffen werden. Ich kann es nicht. Sie werden alles hier aufbauen, vielleicht sogar besser als es vor dem Krieg war. Und dann, das weiß ich und es schmerzt mich ungemein, werden sie langsam vergessen, denn die Toten werden, sobald sie erstmal unter der Erde sind, auch nicht mehr die Lebenden mahnen können. Das kleine Wesen, das um seine Mutter verstreut liegt, ist umsonst gestorben, wie jeder andere umsonst gestorben ist, wie auch ich umsonst sterben werde, vielleicht nicht jetzt, doch irgendwann bestimmt, denn bald wird es wieder Bomben regnen. Kein Toter, auch kein totes Kind, wird sie davon abhalten können. Sie werden nicht mehr vom Leid erzählen können, und ohne die Erzählungen wird Vergessen eintreten. Und dann beginnt alles von neuem. Ich schreie auf.
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