Hotel Zukunft
Als ich die Zukunft betrat, sah ich ultraviolette Wände in grün und orange Nuancen. Der türkisgemaserte Marmorboden spiegelte in perfekter Differenz die karminrote Eingangstür wieder und die deckenhohen Fenster ließen noch gerade so viel von dem grauen, verregneten Tag hereinscheinen, dass man froh sein konnte, endlich das Hotel betreten zu haben.
„Darf ich Ihr Gepäck abnehmen?“, fragte der dicke Butler mit schlaksigen Froschbeinen und warf den Koffer mit einem Schwung auf den wackeligen Stapel in seiner Hand, der schon fast bis zur gewölbten Decke reichte. Alle Koffer waren gespickt mit Erinnerung an vergangene Orte und vergessene Reisen, so viele, dass sie sich in deinem Kopf zu einer einzigen, sehr langen Welterkundung zusammenschweißen und man plötzlich in Erinnerungen über Baguette auf Hawai und der Freiheitsstatue in Japan schwelgt.
Die Decke war bemalt mit leuchtenden Farben, die so intensiv glühten, dass man nicht ausmachen konnte, wer ihre irdischen Verwandten sein könnten. Sie taten sich zusammen zu der verwirrendsten, krummsten Karte, die niemand je erfassen könnte. Sollte jemand ihr folgen wollen, würde er kläglich scheitern und gleichzeitig wieder nicht, denn es gab so viele Abzweigungen, Sackgassen und Ecken und Kanten, dass man wohl oder übel wieder auf den richtigen Weg kommen würde, egal, wo man nun abzweigt oder anhält oder umdreht.
Wie die Blumenmädchen verstreuten Senioren ihre Wachsmalkreiden auf dem Teppich, während ihnen kleine Kinder in bunten Kostümen schimpfend hinterherstapften und ihre Gehstöcke drohend in die Luft reckten. „Früher war einfach alles besser!“, riefen sie und hatten unrecht, denn früher gab es noch keine Wachsmalkreiden, die in den Steinboden schmolzen und sich zu wunderschön verschnörkelten Seerosenblättern verformten.
Von Seerosenblatt zu Seerosenblatt musste man hüpfen, um auf dem Weg zum Restaurant nicht in einem Meer von Möglichkeiten zu ertrinken. „Für sie die Weinkarte? Oder etwas Stärkeres? Alles ist legal im Hotel Zukunft!“ „Dazu das 5-Gänge-Menü mit Sicherheit als Hauptgang, bitte.“ „Sicherheit ist leider aus. Lassen-Sie-sich-überraschen hätten wir noch.“ „Dann nehme ich das, extra scharf bitte.“ Der feine Vino rann die Kehle in seiner ganzen goldenen Pracht herunter und hinterließ einen Film der erwachsenen Seriosität im Mund. Das Menü schmeckte nach bestandenen Prüfungen und Versagen in der Liebe und bestandener Liebe und versagten Prüfungen mit einem Hauch von Glück und einem leichten Trauer Aroma. Die Himbeersauce erinnerte an Krieg und Frieden und harmonierte perfekt mit dem warm auf der Zunge zergehenden Schokosouffle mit flüssigem Kern.
Man wurde hinausbegleitet, zur karminroten Eingangstür gebracht und mit freundlich leuchtenden Augen gefragt: „Und, hat es ihnen gefallen, im Hotel Zukunft?“ und man gab die einzige Antwort, die man geben konnte: „Ich weiß es noch nicht.“
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