Hügeltag
Unterschätze nicht, was du übersiehst. Achtsamkeit. Erkennst du nicht, was sie sehen? Was ich sehe? Was wir sehen? Die Ängste tief in uns. Niemand kann sie sehen. Einmal, da werden sie auftauchen. Ganz plötzlich, unerwartet, aus dem Nichts. Ihr werdet bedauern, was ihr nicht versteht und nie verstehen werdet. Eure Köpfe sind nach oben gerichtet, suchend nach dem Glück, während wir ganz unten sind, ohne Hoffnung. Wenn wir vor euch stehen, neben euch gehen, dann könnt ihr nicht den kalten Schleier spüren, der uns umgibt. Angst. Dabei gibt es etwas, das so viel stärker ist als Angst. Zu stark, um zu verstehen, doch stark genug, um zu leben. Versteckt in den Erinnerungen, im Hier und Jetzt, im Kommen und im Gehen. Füreinander Dasein, alles füreinander tun, sich gegen den Rest der Welt stellen. Ich möchte gerne etwas erzählen. Kein Märchen und auch keine Abenteuergeschichte. Etwas Wahres.
Alles beginnt auf einem abgelegen, schon in Vergessenheit geratenen, Hügel. Dieser Hügel liegt hinter den Wäldern, nahe eines Dorfes, dessen helle Lichter wie tanzende Flammen in der Ferne zu sehen sind. Sie tanzen noch lange weiter, ehe das Dunkel der Nacht seinen seidenen Schleier auf zwei Mädchen herabfallen lässt, die es sich ganz oben auf dem Hügel bequem gemacht haben. Ihre Füße berühren das Gras und ihre Augen die Sterne, während sie die Wirklichkeit vergessen. Niemand kann die beiden sehen, niemand kann wissen, dass sie dem ermüdenden Alltag immer wieder entfliehen und sich hier, an diesem versteckten Ort, niederlassen. Ein Ritual, das die fliehende Zeit für einige Augenblicke stoppen soll. Dabei schreien die beiden, sie schreien so laut sie können vom Hügel herab, und die Dunkelheit soll ihr einziger Zeuge sein. Dann lassen sie sich in das nasse Gras fallen und reden. Sie reden, ganz einfach. Nichts von Bedeutung.
„Ich werde ihnen erst schreiben, wenn ich in Neuseeland bin. Ruft mich nicht an, werde ich sagen.“
Die andere möchte nicht, dass sie geht. Sie weiß nicht, was hier aus ihr werden soll, ohne jemanden, der sie versteht. Aber sie will das Beste für ihre Freundin, sie soll Alles bekommen, was sie sich erträumt. Ihr einziger Wunsch.
„Ich würde gerne gehen. Jetzt sofort.“
„Du? Ja, genau! Dann los, jetzt sofort!“
„Hm, lieber nicht. Du weißt, ich kann nicht.“
„Schon klar. Ich warte selbst noch auf diesen einen Moment.“
„Dass die Hoffnung verschwindet?“
„Das, was ich will, werde ich eh nie bekommen. Warum also so weitermachen?“
„Naja, ich brauche keine Hoffnung. Ich möchte einfach nur diesen Hügel herunterlaufen. Ich möchte nachts im Regen schaukeln und schreien so laut ich kann, und wenn alle denken, ich wäre verrückt! Das Leben ist ein Spiel, man muss sich nur darauf einlassen.“
Die Mädchen reißen Witze, lachen miteinander und gehen mit einem Lächeln nach Hause. Tief in ihrem Herzen wissen sie zu schätzen, wie viel ihnen solche Momente schenken können. Die Wahrheit, die kaum einer sieht. Wir haben keine Wahl. Nein, wir werden ausgesucht.
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