Hurghadavon Philip Pecoraro
Sonntage machen sie traurig. Sehr traurig sogar. Sonntage machen sie so traurig, dass sie nicht einmal fernsehen möchte. Dabei hat sie nichts zu tun, außer fernzusehen. Aber heute nicht. Heute ist Sonntag.
Sie ist achtzig und kann nicht mehr gehen. Langsam rollt sie sich in die Küche. Ihr Rollstuhl reißt kleine Stücke aus ihrem Flokati und verteilt die Fransen im Wohnzimmer. Der Flokati ist sehr staubig und ihm fehlen bereits viele Haare. Sie hasst den Flokati. Doch sie kann ihn nicht tauschen.
In der Küche belohnt sie sich mit einer Zigarette. Zigaretten sind ihr Laster. Aber sie kann nicht aufhören. Sie sagt, wenn sie aufhören würde zu rauchen, dann hätte sie gar nichts mehr zu tun. Außer fernzusehen. Aber das macht sie sonntags nicht.
Abends isst sie ein Schlemmer-Menü für die Mikrowelle. Paprikahenderl mit Eierspätzle. Eigentlich schmeckt es ihr nicht, aber es ist so praktisch. Früher hat sie noch oft gekocht - für die Enkel. Schnitzel gab es da und Kalbsbries. Aber wo bekommt man heute noch ein gutes Bries? Die Enkel kommen auch nicht mehr.
Sie ist einsam.
Montag ist beim Wirten Jausentag. Sie freut sich schon die ganze Woche. Hat sich extra die Bluse waschen lassen, vom netten Zivildiener. Er kommt immer samstags. Aber heute nicht. Heute ist Montag.
Mühsam rollt sie im Rollstuhl vor die Wohnungstüre, schließt ab und will zum Lift. Mehrparteienhaus, vierter Stock. Der Lift ist sehr eng und es riecht nach Urin. Sie war das nicht, denkt sie sich, ihre Windel ist trocken. Ihr Bus rollt an. Es ist ein spezieller Bus, ein Behindertentransport, doch sie ist nicht behindert. Nur etwas eingeschränkt.
Im Bus darf sie nicht rauchen und es gibt keinen Fernseher. Nur einen Busfahrer, Herrn Zatlokal. Doch Herr Zatlokal sagt nie etwas. Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen. Sie schläft ein und träumt von Ägypten. Da war sie einmal - in Hurghada - hat ihr sehr gefallen. Schön warm war es da. Herr Zatlokal hält an und sie wacht auf. Endstation Poppendorf.
Beim Wirten dann die Jause. Es ist Winzerjause. Mit Schinken, Käse, Brot und einem Achterl Veltliner. Den Wein bestellt sie für ihre Pumpe. Weil sie sagt, so viel wie sie raucht, kann das die Pumpe nicht mehr lange mitmachen. Am Schluss isst sie die Ölpfefferoni und ein Ei. Dann raucht sie eine.
Sie ist krank.
Dienstags kommt der Sohn. Er wohnt in Mattersburg und hat wenig Zeit. Er kommt mit seinem Opel GT. Am Wochenende fährt er sie manchmal zum Einkaufen. Aber heute nicht. Heute ist Dienstag.
Der Sohn bringt ihr die Post, es ist Reklame. Immer, wenn der Sohn in die Wohnung kommt, holt er vorher tief Luft. Er reißt alle Fenster auf - der Qualm bleibt. Sie sagt, er will sie in ein Altersheim geben. Sie will nicht. Zum Sterben reicht ihr dieses Loch, sagt sie. Seit acht Jahren sagt sie das.
Er hilft ihr ins Bad und hebt sie in die Dusche. Sie duscht nicht oft, alleine kann sie das nicht. Sie stinkt aber nicht, meint sie. Wenn sie nicht duscht, nimmt sie einen Duft, den hat ihr die Sparkasse geschenkt. Der Sohn hat ihr eine neue Bluse gekauft, eine blumige aus Polyester.
Nach der Dusche geht der Sohn. Er drückt sie kurz, dann geht er. Sie legt Patiencen. Das Tischtuch, auf dem sie die Patiencen legt, ist fleckig und angestaubt. Ihr macht das nichts. In der Hälfte der Patience schläft sie ein. Sie sitzt ganz ruhig im Rollstuhl und schnarcht leise.
Sie ist müde.
Am Mittwoch sieht sie fern. Sie sieht viel fern. An Donnerstagen geht sie gelegentlich zum Seniorenbingo. Hat sogar mal etwas gewonnen, beim Bingo. Aber heute nicht. Heute ist Mittwoch.
Im TV läuft die Barbara-Karlich-Show, es geht um Lungenkrebs. Doch sie ist gelangweilt und zündet sich eine Zigarette an. Sie wird sehr müde.
Der Schlaf packt sie rasch, und sie lässt alle Glieder von sich fallen. Der Fernseher rennt weiter. Die Zigarette glimmt kurz auf und fällt in den Flokati. Der Flokati ist sehr trocken. Er brennt sehr schnell. Und er brennt sehr gut.
Aber sie träumt von Hurghada und merkt nichts. Die Flammen haben sich inzwischen ausgebreitet und schleichen über den Flokati zum Esstisch. Das Tischtuch entzündet sich zügig, so auch die Patience und das Paprikahenderl. Es riecht nach verbranntem Plastik und nach Patience. Nach Schlemmer-Menü und nach Sparkassen-Duft. Und nach Flokati.
Bald lodern die Flammen in der ganzen Wohnung. Sie schläft weiter. Im Traum ist sie am Strand. Auf einer weichen Sonnenliege liegt sie und sie schwitzt sehr stark. Muss an der ägyptischen Hitze liegen. Und an der blumigen Bluse. Die aus Polyester.
Im Fernsehen spricht Frau Karlich von starker Tabaksucht bei Senioren, während die Außenhülle des TV langsam schmilzt. Frau Karlich erklärt, wie man mit dem Rauchen aufhören könnte. Aber das hört sie schon gar nicht mehr.
Sie ist längst in Hurghada.
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