ICH
Ich habe genug. Ich sitzte hier, weder hungrig, noch durstig, noch müde. Ich habe mich nicht überfressen und nicht zu viel getrunken. Ich bin nicht aufgeregt, verspüre kein Bedürfnis danach, etwas zu tun. Ich bin nicht traurig, fröhlich oder zufrieden. Dabei sollte ich zufrieden mit diesem Zustand sein. Ich habe keinen Grund, es nicht zu sein. Es wird erwartet, dass ich jetzt zufrieden bin.
Ich will aber nicht. Ich will nicht meinen Hunger stillen, ich will meinen Hunger stillen wollen. Warum auch nicht. Ich lass mir doch nicht vorschreiben, wann ich zufrieden zu sein habe. Oder wann ich dankbar sein soll dafür, dass ich es sein könnte. Was glaubt man eigentlich, mir etwas vorschreiben zu können!
Ich schreie die Welt an: „So einfach ist das nicht, mich zufrieden zu stellen. Mir genug zu geben. Wer bin ich, dass ich Erwartungen entsprechen soll. Ich will Erwartungen über- oder unterbieten. Aber doch nicht ihnen genügen. Ich will anders sein. Und dass Andere das nicht sind. Wenn ich so provoziert werde, bin ich wütend. Ich habe ein Recht auf Wut!“
Andere mögen zurecht wütend sein. Aber immer auf die Falschen. Die projizieren einfach ihre Unzufriedenheit auf irgendwen. Ich bin einen Schritt weiter. Mir reicht die Wut.
Ich werde lauter: „Was ist das für eine Welt, in der ich hier zufrieden sitze und in der mir das genug sein soll. Dafür zu leben lohnt sich nicht! Darüber darf ich mich echauffieren und laut werden. Ich habe ja auch mehr als genug Grund dazu. Seht euch doch mal um!“ Die Wut ist lebendig.
„Aber ich will nicht hören, dass es Anderen viel schlechter geht. Keine Schuldgefühle. Für das Leid der Anderen kann ich ja auch nichts.“ Jetzt brülle ich. „Ich muss nicht aufstehen und draußen irgendwas ändern. Wenn ich will, bleibe ich sitzen. Ich stelle gar keine Ansprüche an das Leben. Das hier ist doch genug!“
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