Ich bitte dich, mach Tempo!
Händeringend sitze ich auf einer giftgrün gestrichenen, rostüberzogenen Parkbank. Ich hoffe, Henry macht Tempo, kommt rechtzeitig. Rings um mich gehen Passanten ihres Weges, ein Kind rupft eine Narzisse aus einem öffentlichen Beet. Mein Fuß wippt auf und ab, unkontrollierbar. Ob das die neben mir lungernde, Musik hörende Jugendliche stört? Ich kann Britney Spears‘ „Toxic“, das aus ihrem iPod tönt, bis hierher hören; meine letzten Gedanken gehen in einem bunten Strudel an Farben, Formen und Gefühlen verloren. Sie lösen sich auf, verschwinden, setzen sich neu zusammen. Der Boden dreht sich, ich mich mit, doch von einem Moment auf den anderen - wie bei einem Ringelspiel, das ohne Vorwarnung gestoppt wird - reißt es mich nach vorne. Die Schwerkraft fordert ihren Tribut, ich stolpere, falle, lande inmitten rot-braun gefärbter Blätter, rapple mich wieder auf und blinzle mit zugekniffenen Augen in das goldene Licht eines spätherbstlichen Sonnenuntergangs.
Bronzene Beschilderungen glänzen, Öllaternen flackern am Rande des Wegs. Ich schüttle meinen Kopf, wie ein Hund, der lästige Wassertropfen abzuschütteln versucht; eile los, die Hände tief in den Taschen vergraben. Sicher finden meine Stiefel ihren Weg über das altbekannte Kopfsteinpflaster, quer durch die Stadt und in den altehrwürdigen Krämerladen um die Ecke. Der Verkäufer mustert mich lethargisch, befindet mich seiner Aufmerksamkeit nicht würdig und wendet sich erneut seinem Kreuzworträtsel zu. Nunmehr mit einem Stift und einem Blatt Papier bewaffnet, bringe ich in Erfahrung, dass wir uns im Jahre achzehnhundertsechzig befinden. Zurück im bekannten Park, den Zettel sorgfältig zusammengefaltet in die bereits ausgehobene Mulde unter der neu gestrichenen, giftgrünen Parkbank gelegt, habe ich mein Werk getan.
Nun muss Henry meine Nachricht nur noch finden, viele, viele Jahre später. Um mich holen zu können, und das schnell, bevor ich erneut willkürlich durch die Zeit geschleudert werde.
Wäre all dies in einer etwas wärmeren Oktobernacht passiert, hätte es vielleicht Passanten gegeben, die von den seltsamen Ereignissen zeugen könnten, die nun vonstatten gehen sollten. Sie könnten, wenn sie im richtigen Moment aufschauten, das Verschwinden eines Menschen miterleben, zusehen, wie das Raum-Zeit-Kontinuum zerreißt, ihn verschluckt und jeden Beweis seiner vormaligen Existenz tilgt.
Würde jemand noch etwas länger am Ort des Geschehens verharren, könnte man eine gehetzt anmutende Person in navyblauem Trenchcoat die Straße entlangeilen sehen. Diese würde die giftgrün gestrichene Bank aufsuchen, nach dem Ausgraben der Nachricht verzweifelt niedersinken und den Kopf in seinen Händen vergraben.
Doch da sind keine aufmerksamen Passanten, niemanden, der den Mann auf der grünen Bank hätte verschwinden sehen können. Und so bleibt die Erzählung unvollendet, die beiden Reisenden in sich wiederholender Weise voneinander getrennt; am selben Ort, zur falschen Zeit.
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