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Ich hätte noch Zeit gehabt. Das Richtige zu tun. Das in meiner Lage einzig Richtige. Ich habe es nicht getan. Ich dachte, dass mein Handeln nichts ausrichten würde, bin mit schuld. Kann es nicht ändern, nichts rückgängig machen, die Zeit weder anhalten noch zurückdrehen. Keine Chance.
Du warst nicht da. Du hast mir nicht geholfen, obwohl es leichtes Spiel für dich gewesen wäre. Ich brauche dich nicht zum Leben, bin nicht abhängig von dir. Emanzipiert und selbstbestimmt wie ich bin. Du verstehst mich nicht, sagst du. Wie ich nur so etwas tun kann, fragst du dich.
Er war da. Da für mich. Ich brauchte ihn. Er brauchte mich. Wir haben uns gefunden, zwei Seelenverwandte auf dem langen Pfad des Lebens, der sich nur einmal für jeden Menschen kreuzt. Er ließ mich daran glauben, an die bessere Hälfte, das fehlende Puzzleteil. War verliebt.
Wir gibts nicht mehr. Wir, du und ich, haben uns auseinandergelebt. Zeichen der Zeit, vielleicht, wahrscheinlich. Zeit heilt nicht alle Wunden. Macht sie nur noch größer, sie werden verletzender für alle Beteiligten. Wir sind verletzt. Eine riesige stark blutende Wunde. Nichts kann sie zusammennähen. Nicht einmal der beste Chirurg der Welt, mit der stärksten Naht. Hoffnungslos. Kein Puls – kein Herzschlag, Patient ist tot. Wir sind tot. Unsere Liebe ist tot.
Ihr versteht uns nicht. Ihr sagt, wer heiratet muss zusammenbleiben. Stimmt nicht, sage ich. Ihr, mit den konservativen Einflüssen des Krieges, meint Liebe wäre zweitrangig. Ich kann so nicht. Der Kinder, des Hauses und der Bekannten wegen, sagt ihr.
Sie sind die Opfer meines und deines Fehlers. Sie leiden. Geschrei, Hass und Streit konfrontiert sie in jungen Jahren. Wegen mir. Wegen dir. Sie haben das nicht verdient, sind hilflos. Sie versuchen, das, das was zwischen mir und dir noch sein sollte, wiederzubeleben. Zunächst Erste Hilfe. Nichts. Herzmassage. Immer noch nichts. Defibrillator – Nichts. Unsere Liebe zueinander ist tot und sie können nichts ändern. Niemand kann etwas ändern.
2010:
K. 42, gelernte Köchin, und F. 46, Immobilienmakler, sind verheiratet, haben 2 Kinder, leben am Land in einem großen Haus mit Garten und Pool.
M. 45, hat K. 42, die Augen geöffnet, ihr gezeigt, wie schön Liebe sein kann. K. hat ihre Affäre so gut es ging geheim gehalten, doch M. wollte mehr sein, als nur Liebhaber.
E. 81 und G. 85 sind stolze Großeltern. Sie wuchsen während des 2. Weltkrieges auf, lernten sich im Lazarett kennen. Sie Krankenschwester, er Soldat. Am 16. Juni feiern sie ihre goldene Hochzeit. Scheidung wäre für sie keine Option.
J. 14 und R. 8 wissen, dass Mama und Papa sich nicht lieben. Das war ihnen schon lange bewusst. Unversucht lassen, wollten sie trotzdem nichts.
2050:
K. 82 ist noch immer mit F. 86 verheiratet. Bald feiern sie ihre goldene Hochzeit. Sie sind stolze Großeltern.
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