# Ich-Scheiß-Auf-Den-Zauberer
Ich lebe in einer Welt, die eurer nicht mehr ähnelt. Welches Jahr gerade ist? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es einen Krieg gab. Niemand hat uns je erzählt, wie er angefangen hat. Ich weiß nicht, ob es überhaupt noch jemand weiß, allerdings glaube ich, dass es die Regierung uns, den normalen Bürgern, einfach verheimlicht.
Welche Regierung, fragt ihr euch? Naja, es gibt nur eine. Der Krieg hat alles zerstört und aus dieser Zerstörung entstand eine Nation. DIE Nation. Mit Gründung der Nation beginnt unsere neue Zeitrechnung. Heute ist der 52. Tag des 3. Viertel des 176. Jahres.
Über die Geschichte der Nation wird in unserer Schule mehr gelehrt. Es sei ein großes Glück für alle, die der Nation beitreten konnten, und ein noch größeres für all jene, die in der Nation geboren wurden, hatte meine Lehrerin immer wieder wiederholt.
Vielleicht stimmt das ja auch, denn während im Rest der Welt immer noch Kriege herrschen und vor allem das Chaos die Überhand hat, ist hier in der Nation Frieden und Ordnung.
Um diese Ordnung beizubehalten, müssen wir auch einiges aufgeben, auch wenn das als gut angesehen wird. Zum Beispiel wird vorherbestimmt, welches Leben wir einmal haben werden. Das entscheidet angeblich ein Zauberer. Den habe ich allerdings noch nie gesehen, nicht einmal, als ich noch einen Fernseher hatte.
Mein Leben wurde auch schon bestimmt. Ich hätte eine Soldatin werden sollen. Ich habe 2 Jahre lang trainiert, um die Nation zu verteidigen.
Dann kam mein erster Einsatz. Da habe ich realisiert, was die Nation wirklich macht. Sie schlachtet unschuldige Familien ab, die probieren in Frieden zu leben und die keine Chance haben, Teil der Nation zu werden. Das alles nur, um die Gebiete der Nation zu erweitern.
Nach diesem Einsatz war mein Entschluss gefallen. Ich wollte aus der Armee austreten. Nur hat mich niemand gelassen.
Ich musste so oft zu meinem Kommandanten ins Büro und von allen Seiten wurde auf mich eingeredet, dass es für mich vorausbestimmt worden sei und dass das der einzige Weg sei, in dem ich nicht versagen würde. Ich habe das auch noch geglaubt, weil ich mir kein anderes Leben vorstellen konnte.
Schließlich wurde mein nächster Einsatz angekündigt. Ich lag die ganze Nacht wach. Und schließlich fragte ich mich, ob die Zukunft wirklich vorausbestimmt sei. Irgendwann (es muss weit nach Mitternacht gewesen sein) erkannte ich etwas, was mein Leben veränderte. Ich verstand den wahren Zauber der Zukunft. Während die ganze Welt mir sagte, das Rätsel der Zukunft müsse in der Gegenwart gelöst werden, verstand ich nun, dass gerade die Ungewissheit die Zukunft zu einem Mysterium macht und dass darüber zu grübeln, mich nur davon abhält, die Abenteuer der Zukunft zu erkunden.
Noch in derselben Nacht haute ich ab und heute, fünf Jahre später, leite ich eine Widerstandsgruppe gegen die Nation. Ob es etwas bringt, weiß ich nicht, aber das hält mich ganz sicher nicht mehr auf, denn jetzt schreibe ICH meine Zukunft - und nur ich.
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