Ich träume von der Zukunft
Unser Haus hat dicke, alte Wände. Wenn man ganz leise ist, hört man es atmen. Im Winter ist es kalt und im Sommer auch. Meine Mutter will, dass ich in der Früh einen Tee trinke. „Damit ich was im Magen hab“, sagt sie.
Älterwerden heißt besser mit den Eltern auskommen (meistens). Ab und zu heißt es auch, nicht mehr ins Lieblingsgewand zu passen, Lieblingsessen nicht mehr zu mögen oder Kinderzimmer umzudekorieren.
Manchmal träume ich von der Zukunft. In einem großen Haus mit einer Veranda. Mit Katzen und genug Raum für Pflanzen, Gäste und Liebe. Mit jedem Raum in einer anderen Farbe – die Küche wird grün. Ich träum von einem Mosaik im Badezimmer und den Wänden voll von Bildern mit Kunst (meistens). Ich sehe einen Beruf, bei dem ich etwas mit den Händen bauen kann.
Ich sehe einen Raum zu Hause, der nicht mehr mein grünes Zimmer ist, sondern 4 Wände, in denen ich halt mal gewohnt habe. Ich habe Albträume von meiner Mutter, wie sie allein durchs Haus wandert und jemanden sucht, dem sie Tee anbieten kann. Ich sehe beste Freunde, die man nur noch zweimal im Jahr trifft. Und wenn man sich verabschiedet, fällt beiden der Handschlag nicht mehr ein – deshalb winkt man sich nur zu und ruft: „Man sieht sich!“ Aber man sieht sich nicht.
Der Zauber der Zukunft ist Blumen ans Grab der Eltern zu legen. Es ist den Kindern den Platz zu zeigen, wo mein kaltes Haus einmal stand. Jetzt ist es schon längst nicht mehr da, nur noch Ziegel sieht man.
Aber älter werden heißt loslassen, auch wenn man gar nicht will. Aber vielleicht ist die Zukunft so bittersüß, weil es so passt und so richtig ist. So richtig schmerzhaft schön.
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