Ich war vier
Ich sah in das Gesicht meiner Mutter, in der Sekunde, in der ich geboren wurde. Ich kann mich nicht daran erinnern, doch ich weiß, so muss es gewesen sein. Wie sollte es sonst gewesen sein? Ich sah also in das Gesicht meiner Mutter, der Schweiß rann ihr von der Stirn, die grellen Lichter des Krankenhauses blendeten sie, sie hatte Schmerzen, sie war erschöpft, doch sie war glücklich. Sie war glücklich, ich kann mich nicht daran erinnern, doch so muss es gewesen sein. Sie muss glücklich gewesen sein. Sie und Vater mussten mich an diesem Tag geliebt haben. Wie sollte es sonst gewesen sein?
Ich glaube diese Familie war damals, am Anfang noch gut.
Ich war zu Hause, zumindest glaubte ich damals, dass sich dieser Raum, in dem ich mich befand, sich wie zu Hause anfühlte. Erst viel später lernte ich, dass sich ein zuhause warm und wohlig anfühlen sollte und nicht kalt und voller Angst. Jedenfalls saß ich da in diesem Raum und wartete. Ich wartete darauf nicht mehr allein zu sein. Ich muss vier gewesen sein, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, doch so muss es gewesen sein. Wie sollte es sonst gewesen sein?
Ich war vier als man mich das erste Mal allein lies.
Dann, an diesem einen Tag, klopfte es an der Tür. Mutter und Vater waren wütend, ich verstand nicht warum, schließlich kamen oft mir fremde Menschen in unser zu Hause, doch dieses Mal war es anders. Die fremde Frau, die hereintrat, betrachtete mich sorg voll und mitfühlend, ich konnte mich nicht erinnern, dass mich je jemand so angeblickt hatte, doch so muss es gewesen sein. Die Emotionen in ihrem Gesicht mussten Sorge und Mitleid ausgedrückt haben, wie sollte es sonst gewesen sein?
Später brachten sie mich weg von Mutter und Vater.
Jetzt befand ich mich in einem anderen Raum, den ich für die nächsten drei Monate mein zu Hause nennen durfte. Hier fühlte es sich anders an, irgendwie gab mir dieser Raum damals ein Gefühl von Sicherheit, außerdem teilte ich mir ihn mit einem anderen Kind, ich glaube Nova war so alt wie ich, ich wusste es nicht genau, aber so musste es gewesen sein, wie sollte es sonst gewesen sein?
Die liebe Frau sah ich nach diesen drei Monaten nie wieder. Nova auch nicht.
Nach drei Monaten kamen Mama und Papa mich holen. Mama und Papa. Diese zwei Worte haben heute eine andere Bedeutung für mich. Mama schreit nicht mehr ständig und Papa hat mich noch nie geschlagen. Mama sorgt sich um mich und Papa hilft mir, wenn ich Hilfe brauche. Ich habe beschlossen nicht mehr an den Raum voll kalter Angst zu denken. Mama und Papa lieben mich. So ist es, denn wie sollte es sonst sein?
Meine Familie ist schlussendlich gut.
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