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Ich schlafe nicht. Es ist spät. Viel zu spät, um wach zu sein. Ich starre meine Decke an und spüre, wie meine Zukunft unter meinen Fingernägeln hinwegrottet, jedoch bewege ich mich nicht. Ich schlafe nicht. Seufzend drehe ich mich zur Seite. Ich starre meine Wand an. Meine Poster starren zurück. Ich schlafe nicht. Zu müde, um meine Augen zu schließen, lasse ich meinen Blick durch mein Zimmer wandern. Ich schaue zum Fenster. Ein Auto fährt vorbei, Scheinwerfer blitzend. Weit entfernt frage ich mich, wer um diese Zeit unterwegs ist. Warum? Was ist seine Mission? Seine Geschichte? Was führt ihn hierher? Ich schlafe nicht. Meine Uhr tickt langsam vor sich hin, ein Rhythmus ohne Melodie, eine Melodie ohne Lied. Ein Liedtext ohne Namen geht mir durch den Kopf. Die Wörter sind verzerrt, eine Sprache, die nirgendwo sonst existiert, außer in meinem Zimmer, unter der geheimen Decke der Nacht, die niemand versteht, außer meine Pölster und Stofftiere, für welche ich nie das Herz hatte, sie wegzugeben. Ich schlafe nicht. Mein Herz schlägt in Tandem mit der Uhr, ein frustrierender Kanon der Insomnie, ein Orchester der Schlaflosigkeit, dessen Dirigent mich foltern will. Ich schlafe nicht. Die Lichter der Stadt breiten sich vor meinem Fenster in ein fluoreszierendes Labyrinth aus, ein Spinnennetz von flackernden Glühbirnen. Ich schlafe nicht. Die Sterne erstrecken sich über den Nachthimmel wie ein glitzerndes Kleid voll Strasssteinen. Das fahle Mondlicht beleuchtet meine Zimmerpflanzen und wirft deren Schatten auf meine Decke, wie Schauspieler auf einer Bühne, überlebensgroß, jedoch schmerzhaft menschlich. Ich schlafe nicht. Mitternacht ist gekommen und gegangen, die Zeit verronnen wie zähflüssiger Honig an einem schwülen Junitag, an dem die Muskeln schwer liegen und alles sich wie Unterwasser anfühlt, an dem schlechte Entscheidungen leichter fallen als gut. Ich schlafe nicht. Ich denke an ihn. Noch immer, schon wieder, ich weiß es nicht. Ich schlafe nicht. In meinem Kopf fliegen hunderttausende Gedanken herum, ein Schmetterlingsschwarm an Ideen, die meisten davon unsinnige Hirngespinste, die ich spätestens in der Früh wieder vergessen werde. Ich schlafe nicht. Mein Gehirn läuft mir davon, spielt den ganzen Tag auf Endlosschleife wieder, jedes Gespräch und jede Entscheidung, und ich spüre schon, wie Zweifel und Sorge, altbekannte Freunde seit der Kindheit, sich wieder in meinen Knochen einnisten. Hat er das wirklich so gemeint? Ist sie wütend auf mich? Habe ich ihr was getan? Warum habe ich das gesagt? Warum hat sie so geschaut? Wer sind meine echten Freunde? Was will ich vom Leben? Wer bin ich? Existiere ich überhaupt? Existiert irgendetwas? Ist das alles nur ein Konstrukt? Ich schlafe nicht. Ich schlafe nicht. Ich schlafe nicht.
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