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Angst. Angst kommt in vielen Formen. Spät nachts, wenn alle Lichter gelöscht sind und Stille wie eine Decke über den Straßen liegt, wenn sogar die Tiere unter ihrem Gewicht verstummen und nur der Mond einen Hoffnungsschimmer bietet, schleicht Angst um die Häuser, gerufen von Gedanken an was sein könnte und was niemals sein wird. Geschickt schlüpft sie durch Schlüssellöcher und Fensterläden und legt sich wie Ketten um die Brust jener, die nicht rechtzeitig von der Leichtigkeit des Schlafes eingeholt wurden. Wie Gift breitet sie sich aus, lähmt Muskeln und Glieder, während sich die Gedanken in Spinnennetzen aus Hypothesen verheddern und einen eisigen Abgrund hinabschlittern, der nur von der Morgensonne des nächsten Tages geschmolzen werden kann.
Dies war nicht die Angst, die durch die Adern der Männer floss, als der Sand unter ihren Stiefeln knirschte. Es war kein allzu lautes Geräusch, einfach zu überhören unter dem rhythmischen Peitschen der Wellen gegen den Strand, doch für Suchende, für jene, die sich seit Monaten, Jahren danach sehnten, war es unverwechselbar. Es brachte Hoffnung, Hoffnung und Erleichterung, doch schon bald schwoll etwas anderes in den Herzen der Männer. Etwas animalisches, etwas unkontrollierbares. Angst. Angst vor dem Unbekannten.
Sie war es, die eine Unruhe in ihre Augen brachte, als sie sich verschreckt umsahen. Sie war es, die tausende Insekten unter ihrer Haut erweckte, kriechend, krabbelnd, immerzu die Illusion von Blicken auf ihren Körpern erweckend. Sie war es, die sie bei jedem kleinsten Geräusch zusammenzucken ließ, ihre Finger weiß um die Griffe ihrer Schwerter, bereit jeglicher Bedrohung mutig ins Antlitz zu blicken. Das ist zumindest, was sie sich selbst einredeten.
Angst vor dem Unbekannten war es auch, die durch die Herzen der anderen zuckte, wie das Schwert eines Fremden, der sich hinter dem Namen eines anderen verbarg; Wut. Wut, die sie kaum ruhig in ihren Verstecken zwischen Blättern und Rinde, in den Armen ihrer heiligen Mutter liegen ließ. Wut auf die Fremden, die Eindringlinge. Wut, die nach Blut verlangte.
Ihre Angst war jedoch nichts im Vergleich zu der Angst, die ihre Kinder und Kindeskinder ertragen müssten, nichts im Vergleich zu der Verwirrung, die sie fühlen würden, wenn sich die vermeintlichen Göttergesandten gegen sie wenden und Verwüstung über ihr Volk schicken würden, nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den jene erleiden würden, die ihre Familien tot, geschlachtet, an sich drücken würden, wissend dass sie die nächsten seien, und nichts im Vergleich zu der Frustration jener, die Jahrhunderte später durch die Länder ihrer Vorfahren wandern würden, nur um auf Denkmäler jener zu stoßen, die gesegnete Erde mit Blut durchtränkt hatten und die Leben tausender Unschuldiger auf sich lasten hatten und dennoch unbeschwert in den Tod gegangen waren.
Angst. Angst macht vieles mit den Herzen der Menschen. Sie kann lähmen oder beleben, beschweren oder beflügeln, doch allem voran ist sie eines: grausam.
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