19. 12. 2019
Nichts scheint jemals mehr in Ordnung zu sein. Ich sehe mich aus der Perspektive einer anderen Person. Es ist komisch, mich selbst so zu sehen. Ich, auf dem Boden kauernd, seinen Körper fest umschlossen von meinen Armen. Ich sehe, wie das Leben aus seinen Augen weicht. Zuvor gefüllt mit nichts außer Liebe, jetzt kalt und leer. Ich weine mittlerweile Blut, eine Ader muss geplatzt sein. Ich habe keine Ahnung wie lange ich schon in derselben Position verharre. Ich kann mich nicht bewegen, ich bin gefangen in einem Körper, der mir nicht zu gehorchen scheint. Vielleicht möchte ich das auch gar nicht. Ich sehe, wie rund um mich meine Familie steht und mich auffordert loszulassen. Keiner versteht mich, ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mich selbst verstehe. Mein Vater zerrt mich von seinem leblosen Körper weg. Ich schreie. Trete. Wehre mich mit allen Mitteln. Doch nichts scheint zu helfen. Sein Körper wird immer kleiner und kleiner, langsam verblasst er, bis nichts mehr zu sehen ist. Ich glaube es ist erst jetzt, dass ich realisiere, dass ich ihn nie wieder sehen oder spüren werde. Keine langen Spaziergänge mehr. Keine überschwänglichen Begrüßungen mehr, wenn ich nach einem langen Schultag endlich nach Hause komme. Keine Aufforderungen mehr weiter gekrault zu werden. Keine neuen Tricks üben. Nichts. Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Jeder Grund für mich aufzustehen ist weg, für immer verloren. Ich sehe, wie ich mich wie ein Roboter zu unserem Medikamentenschrank bewege. Ich sehe krank aus. Ich bin abgemagert, habe seit Tagen nichts gegessen und kein Auge zugetan. Rund um die Uhr muss ich an ihn denken. All die schönen Augenblicke die wir zusammen verbracht haben. Nun greife ich zu der Dose mit Schlaftabletten. Ich bewege mich hinaus, ich weiß nicht, wo ich hingehe, bis ich dort angekommen bin. Ich sitze auf einer Bank, die Abenddämmerung bricht ein. Man kann von hier die schönsten Sonnenuntergänge beobachten. Es war sein Lieblingsort. Wir haben hier unzählige Abende gemeinsam verbracht. Ich erlaube mir, noch ein letztes Mal alle Erinnerung wie einen Film durchlaufen zu lassen. Die Sonne ist nun untergegangen. Ich öffne die Dose, und schlucke eine Tablette nach der anderen. Ich fühle, wie der Schmerz verblasst, wie mein Herz sich dem Rhythmus meines toten Hundes anpasst.
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