2021: Rabenschwarze Blockbuchstaben
Einst kam ein Mann vom Arbeiten nachhause in seine beengte Wohnung in einem Hochhaus, als er auf seinem Tisch einen Zettel fand. In rabenschwarzen Blockbuchstaben stand dort geschrieben: Geh raus! Ein unheimlich beängstigendes, kafkaeskes Gefühl kam in dem Mann auf, denn niemand sonst hatte Zugang zur Wohnung. Sollte er etwa der Anweisung auf dem Zettel Folge leisten? Nein! Der Mann wollte jetzt nicht raus gehen, denn in der Ferne zog ein Unwetter auf, zerriss den Zettel, warf die Überreste in seinen Mistkübel und hatte schon bald die bedrohenden Gedanken verdrängt. Ermüdet und erschöpft schlief der Mann ein.
Der Wind pfiff laut, Donnergrollen ertönte und der Regen strömte wild hinab. Schlaftrunken wandelte der Mann durch seine Wohnung, als er plötzlich auf seinem Tisch einen Zettel fand. In rabenschwarzen Blockbuchstaben stand dort geschrieben: Geh, bitte! Der Mann zuckte zusammen und ihm wurde angst und bange. Er brauchte Hilfe von Freunden und Vertrauten, also konsultierte er die sozialen Medien. Lang dauerte es nicht, denn schon bald fanden sich schlüssige Antworten auf die Fragen des Mannes: „Ein Streich muss das sein.“ So oft las der Mann die Antworten, bis er sie selbst glaubte. Er zerriss den Zettel in viele kleine Stücke, warf sich ins Bett und zwang sich in den Schlaf, denn er brauchte Ruhe.
Unruhig war die Nacht und geprägt von Albträumen. Schließlich stand der Mann auf und stieß einen furchtbaren Schrei aus, denn im Halbdunkel lag wieder ein Zettel. In noch rabenschwärzeren Blockbuchstaben stand diesmal geschrieben: Geh. Bitte! Diesmal wurde der Mann wütend. Frechheit! Aber was würde passieren, wenn er nicht rausginge? Ein Gefühl der Angst umschlich ihn und er fühlte sich ganz klein. Jetzt wurde der Mann hektisch. Mit lauter Stimme redete er sich vor, dass dies alles nur ein dummer Lausbubenstreich sei, obwohl er genau wusste, dass dies nicht wahr war. Laut schrie er um sich: „Ich gehe raus, wenn ich möchte. Das ist meine Freiheit zu entscheiden! Ich gehe jetzt nicht raus!“ Wieder zerriss er den Zettel in tausend Stücke, öffnete das Fenster, und warf die Stücke hinaus. Sofort packte der sausende Wind die Stücke und trug sie weit davon, bis sie im ewigen Dunkel der Nacht für immer verschwanden.
In diesem Moment wurde das Gequietsche des Hochhauses immer lauter bis es ohne jegliche Vorhersehung gewaltig krachend in sich zusammensank. Von der Weite beobachteten viele Menschen dieses Schauspiel. Es waren die Bewohner des Hochhauses, die der unheimlichen Anweisung in ihren Wohnungen Folge geleistet hatten.
Genauso gut hätte auf dem Zettel „Sei weniger egoistisch“, „Schütz das Klima“ etc. stehen können. Aber sofern sich die Vorteile einer gewissen Handlung dem Menschen nicht sofort erschließen, dann ist er entweder zögerlich oder setzt sinnvolle Dinge gar nicht um. Der Sinn einer Handlung ergibt sich einem Menschen meist erst, wenn es zu spät ist. In der Realität muss aber nicht nur der Einzelne büßen, sondern die gesamte Gesellschaft…
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