2060
Wir haben das Jahr 2060. Es ist Nachmittag, und meine digitale Schulstunde hat gerade eben geendet. Ich bewege mich mit meinem digitalen Avatar in meiner eigenen digitalen Welt, die ich mir selbst aussuchen konnte, ein Stück näher an einen fremden Avatar heran. Wer wohl dieser Fremde ist? Erst jetzt erkenne ich meine beste Freundin Anna, die wohl das Aussehen ihres Avatars geändert hat. Ich winke ihr zu und wir verbringen etwas Zeit und spielen miteinander.
Als es schließlich acht Uhr läutet, erschrecke ich. Schon so spät? Beim Spielen in meiner digitalen Welt vergesse ich immer die Zeit. Es ist schwer, von meiner digitalen Welt ins echte Leben zurückzukehren. Aber ich weiß, was jetzt kommt. In fünf Minuten werden sie den gesamten Strom abdrehen. In fünf Minuten wird es wieder schwarz werden. Ich fürchte diese Dunkelheit. Auch wenn wir im Haus vor allem geschützt sind. Nach draußen darf man schon lange nicht mehr gehen. Die Luft ist komplett vergiftet und alles ist abgestorben. Es gibt keine Pflanzen und keine Tiere mehr. Deswegen verbringen wir unser gesamtes Leben nur noch in unserer digitalen Welt. Keiner verlässt mehr das Haus zum Arbeiten oder zum Sachen unternehmen. Das alles macht man heutzutage online. Ich kann mit meinen Freunden reden und Sachen unternehmen. Manchmal frage ich mich aber, wie sie in echt aussehen und wie sich ihre echten Stimmen anhören. Manchmal wünsche ich mir, einfach mal einen Schritt vor die Tür zu machen. Doch das endet tödlich. Das weiß ich.
Gong! Ich schrecke zusammen, obwohl ich an diesem Laut schon gewöhnt sein sollte. Jetzt kommt die Durchsage und eine Sekunde danach wird es schwarz. Sie haben den kompletten Strom abgedreht. Nicht einmal die reichen Leute bekommen die Erlaubnis dafür. Es ist einfach nicht mehr genug für alle da. Sie haben es verbockt. Jahrelang ist uns gesagt worden, dass man eine Lösung finden würde. Aber das haben sie nicht.
Da mir nichts anderes mehr übrig bleibt, lege ich mich ins Bett und versuch zu schlafen. Ich denke nach. Wie die Welt vor 20 Jahren wohl ausgesehen hat? Meine Großmutter hat mir einmal davon erzählt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es draußen einmal grün gewesen ist.
Also liege ich da und träume. Träume von einer anderen Welt. Einer Welt, die bunt, vielfältig und echt ist.
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