2080 - Totalitäre Kontrolle
Das bekannte Rauschen der Klimatisierung für die Kuppel über mir liegt in meinen Ohren, während ich mich an einen neuen Arbeitstag mache. Freiheit gibt es seit 2040 nicht mehr, der Stabilitätsrat hat jegliche Kontrolle übernommen. Mein Blick wandert auf mein Handgelenk, wo sich mein Existencer befindet. Ich betrachte ihn mit Abscheu, er überwacht mich rund um die Uhr und lässt den Stabilitätsrat alles in „bester“ Ordnung halten.
Die Zahl darauf reißt mich abrupt aus meinen Gedanken; sie ist bereits alarmierend niedrig. Schnell mache ich mich an die Arbeit, auf meinem Terminal endlos lange, KI-geschriebene Texte zu lesen. Als Informationszensor ist es meine Aufgabe, sicherzustellen, dass die Bevölkerung nur den Rat positiv darstellende Informationen bekommt. Der Rat spielt mit den Menschen, er erpresst sie mit ihrer eigenen Lebenszeit. Jeder untätige Moment lässt die Uhr auf dem Existencer ticken und die verbleibende Lebenszeit verringern. Während der Arbeit füllt sich die Zahl wieder auf, deutlich langsamer. Vergehen von Regeln wird bestraft, und schon ein Wort gegen den Rat kostet mehr Augenblicke, als der durchschnittliche Arbeiter besitzt.
Meine Gedanken bringen mich zum Seufzen. Ich zwinge mich, die Aufmerksamkeit zurück auf das Terminal zu richten. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen, als ich versuche, die ermüdenden Zeilen zu lesen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt geschlafen habe, aber Erholung ist unwichtig. Dafür habe ich keine Zeit mehr. Jedes unautorisierte Wort muss eliminiert werden. Der Gedanke daran, dass Ablenkung meine verbleibende Lebenszeit verringert, lässt mich fokussiert bleiben.
Das Terminal piept leise, ein Signal, dass eine neue Nachricht zur Überprüfung bereitsteht. Mein Magen dreht sich um, während ich die zynischen Lügen durchlese, die ich als Wahrheit verkaufen muss. Ich denke an das Leben, das ich haben könnte, wenn die Menschheit damals in den 2020-ern mitgedacht hätte. Sie hätte verstehen müssen, dass autoritäre Regierungen und der Einsatz von Überwachungstechnologien irgendwann eskalieren würden. Doch die Uhr tickt, und meine Lebenszeit ist viel zu knapp. Jeder Schlag meines Herzens, jede Bewegung meiner Finger auf dem Touchpad ist ein verzweifelter Versuch, die Zahl auf meinem Existencer zu erhöhen. Während ich die Worte durchgehe, frage ich mich, wie lange ich dieses Spiel noch durchhalten kann.
Zwei Wächter des Rats betreten den Raum, und mein Herz bleibt stehen. Mein Blick wandert zu meinem Kollegen, einem weiteren Informationszensor. Sein Existencer blinkt rot. Sofort empfinde ich Mitleid; er wird hinaus in das unbelebbare Land getragen werden, wo sein Körper von der Hitze verschlungen werden wird. Als ich meinen Blick von meinem Kollegen abwende, erfasst mich ein seltsames Gefühl. Plötzlich realisiere ich, dass es meine eigene Zahl ist, die rot blinkt. Es ist zu spät. Die Wächter sind gekommen, um mich zu holen. Als ich den festen Griff um mein Handgelenk spüre, wird alles schwarz.
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