25. September 2053
Liebes Tagebuch,
wie ich den Herbst liebe. All die schönen orangen, gelben und roten Blätter der Plastik-Bäume. Zu dieser Jahreszeit werden die Blätter der Bäume mittels LED-Streifen in herbstlichen Farben aufgehübscht.
Schade nur, dass ich nie den richtigen Herbst erleben werde, so wie meine Eltern damals. Als sie jung waren, mussten sie noch das Laub, das sind abgefallene Blätter, rechen. Man glaubt es kaum. Außerdem hat mir mein Vater, als ich kleiner war, Geschichten über seine Kindheit erzählt.
Mit seinen Freunden hat er die alte Nachbarin verärgert. Sie sind durch einen Laubhaufen gerannt und haben ihn zerstört. So musste die alte Dame noch mal von vorne zu rechen beginnen. Hauptsache die Buben hatten Spaß.
Ich stelle mir seine Jugend so schön vor. Als mein Vater jung war, hat man nämlich noch sehr viel Wert auf persönlichen Kontakt gelegt. Damals saß man noch in realen Schulen, nicht so wie heute in Online-Klassenräumen. Man konnte soziale Kontakte knüpfen und sich richtig verlieben.
Ich finde zwar den Arian auch ganz toll, aber es fühlt sich einfach nicht echt an (weil es ja eigentlich auch nicht echt ist). Kennengelernt haben wir uns in einem Chatroom. Danach haben wir einige Tage geschrieben und eine Bindung aufgebaut. Mir fällt es aber schwer, jemandem zu vertrauen, den ich nicht richtig kenne. Für viele meiner Online-Klassenkameraden ist es ganz normal, tiefgründige Bindungen mit Leuten einzugehen, die am anderen Ende der Welt vor dem Bildschirm sitzen. Durch die Erzählungen meiner Eltern ist es bei mir aber anders. Ich bin anders. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, anders zu sein.
Jedenfalls kann ich nur sagen, dass ich der heutigen Zeit hintennach bin. Mein größter Wunsch wäre es, künftig Unternehmungen mit realen Menschen zu machen und nicht zuhause auf dem Laufband zu traben und über einen Bildschirm und Kopfhörer mit „Freunden“ vernetzt zu sein. Freunde, die ich eigentlich nicht wirklich kenne.
Natürlich bringt die immer mehr zunehmende Digitalisierung und Globalisierung riesige Vorteile mit sich. Aber macht es überhaupt noch Sinn, sein ganzes Leben lang zuhause zu sitzen und Tag für Tag auf den gleichen Bildschirm zu starren, bis alles schließlich ein Ende nimmt?
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