30 Minuten 45 Sekunden
Zack, Zack, Zack, Zack, Zack, Zack, Zack. Auf dem nassen Asphalt machen ihre Sohlen ein klatschendes Geräusch. Laufen, nur weiterlaufen. Es ist das einzige, bei dem sie Ruhe hat. Sie spürt die kalte Luft auf ihrer Haut, das Stechen irgendwo zwischen ihrem Hals und ihrer Luge und das Pochen unter ihrer Schädeldecke. 30 Minuten 45 Sekunden. Jetzt langsamer werden. Sie spürt wie alles um sie herum schärfer wird. Und dann ist die Wirklichkeit mit ihren grauen Klauen des Denkens wieder da. Gedanken tröpfeln zuerst wie Frühlingsregen auf sie herab. Sie schaltet die Musik ab. Als sie schlussendlich in ihrem Zimmer steht fühlt sie sich bis auf die Unterwäsche durchnässt. Ihr Blick fällt auf das ungemachte Bett. Etwas scheint zu fehlen. Etwas braucht ihr Bett um vollständig zu sein. Und dann dämmert es ihr… wann hatte sie zuletzt? Und sie stürzt sich auf das unterste Fach ihrer Kommode. Sie kramt und zerrt und wirft alles durch einander, geradezu besessen von der Suche nach diesem einen etwas. Dieses etwas, von dem sie sich insgeheim erhofft das es nicht nur die Unvollständigkeit des Bettes sondern vielleicht auch ihr eigenes Gefühl der Unvollständigkeit aufheben könnte. Eine Murmel rollt über denn Boden. Sie hat sie unachtsam über ihre Schulter geworfen. Es war nicht das was sie gesucht hat. Darauf folgen alte Zeitungsausschnitte, eine Schmuckschatulle mit aufzieh-Ballerina und schlussendlich das Gesuchte etwas in gestallt eines Teddybären. Simon hatte sie ihn damals getauft. Warum? Sie kann sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Er ist ein wenig zerknautscht. Und doch löst er immer noch ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit aus. Ihre Lieder schließen sich behutsam.
Sie ist fünf und steht inmitten eines Convinience Stores auf der E60. Es ist schon spät und ihre Augen drohen zuzufallen. Ihr Vater zieht sie an ihrer linken Hand zu Kassa. Seine Stirn liegt in Falten.
Sie ist Sieben und auf dem Weg zu ihrer ersten Ballettstunde. Ihre Beine zittern. Mit der einen Hand hält sie Simon und mit der anderen krallt sie sich an dem Jackenzipfel ihrer Mutter fest. Sie war damals noch so klein…
Sie ist neun. Sie sitzt auf einer braunen Couch. Ihr gegenüber sitzt eine Frau in einer mausgrauen Strickjacke. Die Luft ist stickig und das Licht aus der Lavalampe zu grell. Ihre Mutter wartet vor der Tür. Es ist so still, dass sie fast ihren Atem durch die Tür hören kann.
Sie ist zwölf und versucht krampfhaft mit ihrem Kissen ihre Ohren zu verschließen. Doch die Schreie der Eltern und das Geräusch der knallenden Tür hallen in ihrem Kopf immer noch wieder. Am nächsten Tag packte sie Simon in die unterste Schublade ihrer Kommode. Sie gab ihm die Schuld an dem Streit. Doch ihn wegzuwerfen hatte sie nie übers Herz gebracht.
Nun öffnen sich ihre Augen. Mechanisch fast schon wie in einer Trance bewegt sie sich auf das Bett zu. Sie legt den Teddy vorsichtig auf das Bett und
sie fühlt sich…
absolut…
unverändert.
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