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Es waren einmal…
Es waren einmal fünf Freunde. Entschuldige, es waren Wörter. Also, es waren einmal fünf befreundete Wörter. Sie alle hatten große Pläne, wie jedes andere Wort auch. Sie wollten ausgesprochen und gehört werden, und vielleicht, ganz, ganz vielleicht, sogar aufgeschrieben und abgedruckt werden.
Das ist doch merkwürdig. Warum sollten sie das wollen? Ist es nicht eher so, dass sie korrekt verwendet werden wollen? Will das nicht jedes Wort?
Natürlich. Aber sie konnten ja nicht wissen, dass die Welt, die sie erwartete, so ganz anders war als in ihren Vorstellungen.
Und außerdem, wie können Wörter denken?
Bitte unterbrich nicht. Wo war ich? Ach ja.
Sie teilten diesen großen Traum, und jedes Wort wollte ihn sich erfüllen. Da gab es das kleine Wörtchen Unerwartet, und seine Cousins Überstürzt und Unbedacht. Deren Freund war Rasch, und dessen Freundin Kopflos. Sie betraten gemeinsam die Welt der Sprache, und sofort ging es drunter und drüber. Jeder sprach sie aus, und wie Menschen nun einmal so sind, stießen sie oft auf Ohren, die ihnen abgewandt waren. Sie wurden öfter gesprochen als gehört, und öfter geschrieben als gelesen. Das bereitete ihnen großen Kummer. „Ich wollte doch beachtet werden“, klagte Unbedacht. „Ich hätte nie geglaubt, dass das Leben so anstrengend werden würde.“, fügte Unerwartet hinzu. Kopflos blieb still, während die anderen jammerten. Rasch konnte sich nicht beruhigen und weinte: „Dabei hätte es so gut sein können!“ Schließlich hatte Kopflos genug davon, dass ihre Freunde sich im Selbstmitleid suhlten.
Gut, ich nämlich auch. Komm doch einfach zum Ende.
Sei nicht so unverschämt. Das Beste kommt doch noch.
Kopflos beschloss, ihnen ihren Plan vorzustellen. Sie sagte: „Wir sind alle einzigartig, aber wir werden nicht ernst genommen. Wir müssen uns zusammenschließen, ganz einfach.“ Erstauntes Schweigen auf Seiten der anderen Wörter. „Ich habe mir schon überlegt, wie wir das machen können. Also, hört zu…“
Als ob sie das wichtiger machen würde. Es sind doch nur Wörter.
Jaja, gib Ruhe.
Als sie fertig waren, hatten sie neuen Mut gefasst. Und wirklich, als sie in die Welt der Sprache zurückkehrten, hatte sich für sie einiges verändert. Ihr Zusammenhalt machte sie stärker. „Hals über Kopf“ hatten sie sich genannt, und es wirkte. Sie wurden mehr beachtet. Und als Redewendung wurden sie nicht nur bekannt, sondern auch berühmt.
Schöne Geschichte. Absolut sinnlos, aber wirklich nett. Kann ich gehen?
Natürlich. Aber warum denn so rasch? Findest du das nicht etwas überstürzt? Ich meine, bevor du wie ein kopfloses Huhn auf die Straße rennst, solltest du dich noch einmal hinsetzen und einen Tee trinken. Weißt du, manchmal kommen die Dinge etwas unerwartet, und mir hilft dann immer ein Tee. Außerdem solltest du deine unbedachten Äußerungen zurückschrauben. Du rennst ja wirklich Hals über Kopf durchs Leben.
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