65 und Kaffee trinken
Geh bitte Oida, nerv jetzt nicht.
Gott sei Dank sprach ich es nicht laut aus, sonst wäre ich jetzt einen Euro ärmer und das Schimpfglas einen Euro reicher. Keine Ahnung wie oft ich mir das jetzt schon in den letzten 30 Minuten gedacht habe, aber wahrscheinlich öfter als ich Finger an einer Hand habe. Ich liebe es zu diskutieren. Nein, ich liebe es Recht zu haben und mit meinen Argumenten eine Diskussion zu gewinnen.
Meine Familie, die mir gegenübersaß, hatte wohl den gleichen Ansatz. Natürlich höre ich gerne verschiedene Meinungen zu einem Thema, nur so kann man sich weiterentwickeln und vielleicht sogar seine eigene Meinung überdenken und verbessern. So etwas würde ich jedoch nie zugeben.
Die meisten Themen nehme ich nicht allzu ernst, außer es geht um Themen, mit dem sich mein Diskussionspartner nicht beschäftigt hat und trotzdem argumentiert. Social Media ist mein absolutes Hass Diskussionsthema, meistens werden wir von den älteren Generationen abgestempelt. Egal was sie hören, positiv oder negativ, sie filtern sich, dass hinaus was sie hören wollen. Ich höre ihnen bei ihren Geschichten über ihre Jugend auch zu und verurteile nicht. Einerseits ist es wegen dem Generationsunterschied verständlich, aber trotzdem sollte man sich mit einem Thema beschäftigen bevor man darüber diskutiert.
Mittlerweile hörte ich schon gar nicht mehr richtig zu. Als sie angefangen haben über die Videospielsucht und die Kurzsichtigkeit der jungen Menschen zu reden bin ich ausgestiegen. Was soll man auch groß dazu sagen? Es geht doch sowieso nur bei einem Ohr hinein und beim anderen wieder hinaus. Wahrscheinlich fangen sie dann auch noch an meine Jugend und ihre Jugend zu vergleichen und wie schwer sie es denn nicht hatten. Ich kann es nicht mehr hören. Vielleicht haben sie auch alle in ihrer Jugend ein „Opfer-Syndrom“ entwickelt und müssen ihren Schulweg deswegen immer darstellen wie eine Mondlandung ohne Rakete und Mond.
Wie kann man sich nett entschuldigen, um vom Tisch aufzustehen? Warum bin ich eigentlich mitgekommen, war doch klar, dass meine Eltern mich sobald sie einen Teil der Familie gesehen haben vergessen würden. Tja, selbst schuld, jetzt sitze ich da und kann mir anhören wie meine Familienmitglieder die heutige Jugend schlecht machen. Wer weiß, vielleicht sind wir Menschen einfach dazu bestimmt Sachen, mit denen wir nicht von klein auf Vertraut sind, schlecht zu machen. Vielleicht sitze ich dann mit 65 am Familientisch, trinke Tee und mache die nächste Generation schlecht.
Wenn ich noch weiter an meinen Nägeln herumzupfe, habe ich morgen nur mehr Haut und Knochen. Natürlich macht das keinen Sinn aber…
„Kein Wunder, dass sie nicht zuhört, ist sicher schon auf Entzug von ihrem Handy“, sagte meine Oma und drehte sich, wie alle anderen zu mir um.
Jetzt war es mir egal, ich stand auf und ging. Eines steht fest, ich werde mit 65 am Familientisch sitzen, Kaffee trinken und über die Generationen vor mir schlecht reden.
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