Im Auge des Betrachters: Die grausame Schönheit eines Augenblicks
Au-gen-blick
Substantiv, maskulin
Definition: Ein sehr kurzer Zeitraum - nicht länger als 5 Sekunden
Ähnlich: Moment, Atemzug, Weilchen, Nu, Momentum
Anscheinend ist es möglich einen Augenblick so genau zu definieren. Eine so kurze, aber
vielseitige Zeitspanne in der alles oder nichts passieren kann. Offensichtlich gibt es schöne und
grausame Momente, aber keiner bleibt für immer. Außer….
„Gute Nacht – hab dich lieb!“
Nichts.
Stimmen, laute Geräusche, mein Bruder, der mich wachrüttelt. Ich sehe nur verschwommen,
den Schlaf in den Augen, aber die Tränen, die seine Wangen hinunterkullern sind nicht schwer zu
übersehen.
Auf einmal alles.
„Alles wird gut!“
„Habt keine Angst, da sind viele Schläuche aber die helfen ihm.“
Der erste Blick in das sterile Zimmer, die ersten Schritte auf das Bett zu. Wie klein mir die Welt
vorkommt, wie klein er mir auf einmal vorkommt.
„Hab dich lieb – komm zurück“
Nichts.
Der grausame Alltag voll mit Schule, Lernen und Schularbeiten sowie hoffnungsvollen
Besuchen. Bis er unterbrochen wird durch einen Anruf: „Ich hol dich am Parkplatz vor der
Schule ab.“ Im Grunde ist es mir schon bewusst aber solange die kleinste Chance besteht,
falsch mit meiner Annahme zu liegen existierte die Hoffnung, die aber mit dem Satz „Es ist so
weit.“ Gnadenlos ausgelöscht wird. Genauso wie meine klare Sicht für sie nächsten Tage.
Ein anderes steriles Zimmer. Die Tür vor mir.
„Verabschiede dich“
Ein Blick in das Zimmer reicht und meine Knie berühren den Boden.
Betreten hab ich es nie.
Alle waren da; ich sah niemanden. Auf dem Sarg drei rote Rosen.
Drei Sessel, doch bald waren zwei leer. Andernfalls wäre ich nichtmehr aufgestanden.
Danach Nichts.
Diese Augenblicke halten ewig, liegen aber doch schon fünf Jahre zurück. Sie hängen alle
zusammen und mögen aus meiner Sicht grausam erscheinen, was sie durchaus auch sind, aber
sie haben alle zu schönen Momenten geführt. Gespräche mit Freunden, Umarmungen mit
Verwandten oder mit sich allein, die Bindungen schaffen, die genauso lange währen wie meine
grausamsten Augenblicke.
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