Im falschen Körper
Sterne leuchten am Himmel wie Diamanten, welche für uns unerreichbar und doch so nah sind, doch heute war alles schwarz und die blasse Farbe des Mondes reichte nicht aus, um meine Welt zum Leuchten zu bringen. Die Stadt strahlte im Hintergrund, und das ständige Rauschen einer Masse gefühlt von Millionen von Leben war zu erlauschen, aber ich passte hier nicht hinein. Ich starrte auf die Straßenlaternen, Meter, viele Meter unter mir, und versuchte mir vorzustellen, wie ich wohl in zwei Jahren dort unten friedlich spazieren gehen würde und ich konnte es nicht sehen. Nichts konnte ich sehen. Das riesige, hölzerne Kreuz am Horizont war schwarz im dimmen Licht und meine Füße standen so nah an der Kante, dass die eiserne Luft von unten auf mein Gesicht blies. Meine Augen waren verschlossen, Angst in jeder Ader, und doch war der Schmerz stärker. Zentimeter für Zentimeter näherte ich mich dem Abgrund. Genug. Genug von den schiefen Blicken, dem Gemurmel auf den Straßen, den Drohungen. Die Antipathie in den Augen deiner eigenen Eltern.
„Lou!“, schrie die mysteriöse Frau, aber es war zu spät. Ihre Rosen fielen zu Boden und ich mit ihnen.
In drei Tagen würden die Farben des Regenbogens über den Dächern ihres Wohnblockes erscheinen. Die lauten Stimmen der Demonstranten würden die Straßen erschüttern und bis in den Norden klingen. Ihre Eltern würden sie in einem Anzug beerdigen und ihr die Haare kurz schneiden, sie demütigen. Louis würden sie sie nennen und ihren Namen in den Dreck ziehen. Ein Denkmal würde unter dem Hochhaus entstehen, aber niemand würde je wieder Blumen drunter legen. Sie war ein Niemand gewesen, einer unter vielen, und doch wurde ihr Name weiter gegeben, ein Geheimnis, eine Sünde in den Mündern der Gesellschaft. Unsicher würden die Postboten über sie sprechen, nicht sicher, was sie sagen konnten, ohne den Sensenmann auf sich zu hetzen. Monate würden vergehen und die mysteriöse Frau damals am Abend des Geschehens tauchte zum ersten auf der Bildfläche auf und sprach von Demütigung und Hass auf den Straßen. Keiner schenkte ihr Beachtung. Genug. Genug von dem Tod in unserer Nachbarschaft, würden sie sprechen, diesmal lauter und der Himmel grollte. Keiner schenkte dem Beachtung. In einem Jahr donnerte der Boden und die Menschen auf den Straßen schrien. Angst verbreitete sich in der Stadt und nicht einer dachte mehr an die seltsame Frau, die einst wie ein Geist über den Köpfen der Bevölkerung schwebte.
Die Stadt wurde völlig verwüstet. Glassplitter, Blumenerde, Menschenknochen. Und doch stand die kleine Kerze unter dem großen Gebäude noch immer dort, wo die mysteriöse Frau sie einst hingestellt hatte. Das regenbogenfarbene Denkmal erstrahlte in einer neuen Frische, umgeben von Sonnenschein und dem blauen Himmel. Die Menschen zogen beschämt den Kopf ein, als sie mit den mit Leben gefühlten Habseligkeiten daran vorbeizogen. Genug, dachten sich die Zurückgebliebenen.
Genug von euch, dachte sich Louisa und flog hinfort.
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