Im Schatten deiner Nähe
Er sitzt so wie jeden Nachmittag nach der Schule auf seiner Lieblingsbank und hört Musik. Ich kann nicht anders als ihm jedes Mal heimlich zu folgen und ihn von der Entfernung zu beobachten.
Seine Gesichtszüge, seine grünen Augen, so grün wie das Gras im Sommer, sein kurzer Bart, seine Haare die im Wind wehen, sein durchtrainierter Körper, seine breiten Schultern, seine Hände, all das macht mich süchtig nach ihm. Eine leichte Briese weht seinen angenehmen Geruch in meine Richtung und meine Gefühle für ihn sind nicht mehr auszuhalten. Er steht auf, nimmt seinen Rucksack und geht weg.
Langsam gehe ich zu der Bank, setze mich auf den Platz wo er vorher war und fange an zu fantasieren wie wir miteinander reden und uns lieben. Da, auf dem Boden ist eine Taschentuchpackung, „Tempo“, das sind seine Taschentücher die er immer in der Klasse neben sich liegen hat. Ich hebe sie auf, nähere sie meiner Nase und atme tief ein. Es riecht nach ihm. Das kommt in meine Sammlung.
Zu Hause habe ich eine kleine Schachtel mit all den Dingen die er verloren hat. Ich kenne ihn seit Jahren, es gibt keinen einzigen Tag von dem ich nicht weiß, was er gemacht hat. In der Nacht schleiche ich mich manchmal zu seinem Fenster und beobachte ihn beim Schlafen, doch diese Taschentücher machen meine Sucht nach ihm noch unwiderstehlicher.
Am Abend sitze ich in meinem Zimmer, alles dunkel außer ein kleines Kerzenlicht, das neben mir auf dem Boden ist. Ich verharre im Schneidersitz auf dem Teppich und sortiere die Schachtel mit den Sachen von ihm. Ich habe alles jahrelang gesammelt, sein T-Shirt, das er nach Sport vergessen hat, sein Haar, welches auf seinem Sitzplatz war, sogar den Stift mit dem er immer geschrieben hat und jetzt auch noch die Taschentücher die nach ihm riechen.
Ich weiß, dass das Ganze unheimlich und verrückt klingen mag aber ich kann nicht anders. Ich lege die Taschentücher vorsichtig zu den anderen Dingen in die Schachtel. Dann schließe ich sie, stelle sie unter mein Bett und lösche das Kerzenlicht.
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