Im Schein der Scherben
Scherben – sie scheinen so schön im Licht, sodass man bei ihrem Anblick ganz zu vergessen vermag, dass sie eigentlich nur zerbrochenes Glas sind. Sie sind ein Zeichen für zerbrochene Hoffnungen, Wünsche und Träume. Selbst das Licht zerbricht beim Einfall in die Scherben und zeigt uns dann, dass es aus mehr als nur weißem Licht besteht, indem es in den schönsten bunten Farben zurückstrahlt. Denn manchmal trügt uns der Schein und so war es auch bei mir. Ich versuchte, mich immer in dem hellsten und weißesten Licht zu zeigen. Doch irgendwann erging es mir wie dem Licht und ich konnte die Wahrheit im Schein der Scherben meines Lebens nicht mehr verstecken.
Dabei begann alles so perfekt. Ich war eine starke Frau, die mitten im Leben stand. Doch dann änderte sich alles und nichts war mehr so wie zuvor. Als hätte die Welt für mich angehalten, während sie für alle anderen weiterzog.
Ich saß im Auto, wie so oft zuvor, als es geschah. Doch ich wollte es nicht wahrhaben und fuhr weiter und wollte meinen Alltag weiterführen. Ich versuchte das Negative, wie schon bereits so oft zuvor, zu verdrängen und mich auf das Positive zu konzentrieren. "Immer nach vorne und nie zurück" war mein Mantra, welches ich mir wie ein Gebet täglich vorsagte. Doch dieses Mal ging es nicht und ich konnte den Konsequenzen nicht entkommen. Allerdings versuchte ich dennoch in meinen Gedanken mein Leben weiterzuführen, denn anders wäre ich an den Schuldgefühlen, die schwer wie ein Mantel auf meinen Schultern lagen, zerbrochen.
Doch nun kann ich im Schein der Scherben endlich klarsehen, was ich getan habe. Doch nun, wo ich realisiere, dass ich mich meiner Schuld stellen muss, holt mich alles, was ich an Negativem jahrelang unterdrückt habe, auf einmal ein und stürzt über meinem Kopf zusammen. Es ist, als ob die Säulen meines Lebens, die ich für so stabil hielt, plötzlich poröse wären und keinerlei Schutz mehr bieten würden. Von den vielen Wünschen, die ich einst gehabt habe, ist nur noch derjenige übrig geblieben, dass die vielen Gedanken doch nur bitte gehen würden, sie mich einmal in Ruhe lassen würden und mich nur noch einmal mich sein lassen würden.
Und nun habe ich keine Chance mehr, meine Fehler rückgängig zu machen. Stattdessen wird mir meine Schuld jeden Tag bewusster, während ich hier eingesperrt und isoliert bin. Wenn ich nun in den Spiegel blicke, sehe ich keine junge Dame mit vielen Träumen und Hoffnungen mehr, sondern eine alte Frau, die sich ihre Fehler erst viel zu spät eingestehen konnte. Doch wenn ich nochmal über mein Leben nachdenke, kann ich gewiss sagen, dass nur weil etwas zerbrochen scheint, es noch lange nicht heißt, dass es niemals hätte geschehen dürfen. Denn nur jetzt zum ersten Mal in meinem Leben strahle ich nicht mehr weiß, sondern in den schönsten Farben des Regenbogens. Ganz ohne Vorwürfe, Verdrängen oder Schuldgefühle stehe ich endlich im farbenfrohesten Licht, dass erst durch die Scherben möglich wurde.
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