Im Takt der Uhr
A: Du rennst. Ununterbrochen. Als ob dich etwas jagt.
B: Mich jagt etwas.
A: Was denn?
B: Die Stille. Das Schweigen. Dieses seltsame Gefühl, leer zu sein, sobald ich anhalte.
A: Also fliehst du?
B: Ich betäube mich. Ich laufe, weil Tempo wie ein Rausch ist. Es nimmt mir die Schärfe der Fragen, die ich nicht beantworten kann. „Warum bin ich hier?“ – verschwimmt, wenn die Uhr mich antreibt. „Wer bin ich?“ – verstummt, wenn ich keine Zeit zum Hinhören habe.
A: Und wohin führt dich das?
B: In ein ständiges Vorwärts, das mich beschäftigt hält, damit ich nicht lausche, was in mir klingt.
A: Vielleicht verwechselst du Bewegung mit Leben.
B: Und du verwechselst Stillstand mit Mut.
A: Stillstand ist kein Versagen. Es ist der Ort, an dem du dir selbst begegnen kannst.
B: Genau deshalb meide ich ihn. Weil das Gesicht im Spiegel mich fremd macht. Weil ich Angst habe, die Fragen zuzulassen, die dort auftauchen.
A: Also opferst du dein Leben an ein Tempo, das dich auslaugt?
B: Nenn es Instinkt, nenn es Gewohnheit – es ist das Einzige, das mich vor dem Erfassen lässt, wie dünn alles geworden ist. Wenn ich stehenbleibe, höre ich die Sekunden, und sie klingen hohl. Das ertrage ich nicht.
A: Aber merkst du nicht, dass dich dieses Tempo nicht heilt, sondern nur erschöpft?
B: Es beruhigt mich auf eine Weise, die ich nicht erklären kann. Ich glaube nicht, dass es Rettung ist. Eher… ein Notfallplan, um mich am Laufen zu halten, bevor die Leere mich einholt.
A: Du sprichst, als sei Ruhe etwas, das man nicht verdient.
B: Ruhe klingt wie etwas, das man erst verdient, wenn man alles bewiesen hat. Und ich bin müde, ständig etwas beweisen zu müssen.
A: Es gibt einen anderen Weg. Du könntest bleiben. Spüren. Zerbrechen, vielleicht, aber echt sein.
B: Echt sein — das klingt in deinen Augen vielleicht nobel. In mir fühlt es sich brüchig an, gefährlich.
A: Mut ist nicht, schneller zu werden, weil du Angst hast. Mut ist, die Angst zu spüren und dennoch zu stehen.
B: Ich habe diesen Mut noch nicht gefunden. Ich weiß nur, wie man rennt.
A: Dann fang klein an. Ein Schritt, der nicht vom Takt der Uhr diktiert wird. Ein Atemzug, der länger bleibt.
B: Ein Atemzug kann ein Anfang sein. Vielleicht ist das alles, was ich brauche: weniger ein großes Hindernis, mehr eine leise Erlaubnis.
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