Im Zoovon Ursula Zaiser
Gehege I
Da liegt sie, im salzigen Erbrochenen ihrer Augen, es klebt ihr an den Wangen, in den Wimpern und auf dem glühendkalten Fliesenboden, und es hört und hört nicht auf zu wehklagen, zu stöhnen, man könnte fast meinen vor Lust, aber da ist so viel Qual um ihre Mundwinkel, sie müsste schon Masochistin sein, damit diese Mimik noch Verlangen rechtfertigen könnte. Sie blickt und sie weint, ihrer Kehle wimmernde Sklavin, und sie kann nicht und sieht nicht und blickt schmerzgeschunden in die Düsternis.
Gehege II
Da stehen sie, in ihren Anzügen und knietief in den Fäkalien ihrer Münder, die wie Schnee niedergerieselt sind, aber doch nicht an ihren blitzenden Krawattennadeln haften. Da ist so viel Zorn in ihren Augen, so viel Geiz gepaart mit Gier, ja, der Geiz hat die Gier bestiegen, er hat sein Glied in sie gerammt und sie damit zum Aufschreien gebracht, sodass sie alles ist, was in ihren Köpfen noch widerhallt und tönt. Sie blicken und sie schreien sich an, ihrer Stimmbänder zorniger Folterknecht, und sie verstummen nicht und sehen nicht und blicken leuchtend rot in die Hitze des Gefechts.
Gehege III
Da ist er, nackt und verschwitzt, und er hämmert, hämmert gegen den Muttermund seiner Freundin, die doggie vor ihm kniet und auf eine Weise keucht und stöhnt, die es ihm unmöglich macht zu erkennen, ob sie erregt ist oder Schmerzen hat, aber wichtig kann ihm das schon lange nicht mehr sein. Rein, raus, rein, raus, er spürt fast nichts, aber das ist auch nicht das Ziel, es geht ihm um die Taubheit, und das Fleisch ihrer Hüften ist so weich unter seinen Nägeln, und er blickt und er kommt und kommt nicht, seines Orgasmus Jäger, und er hört nicht auf und sieht nicht und blickt blicklos in die Dumpfheit seiner unterstimulierten Eichel.
Gehege IV
Da knie ich, das Gesicht verschmiert mit Schlamm, und Menstruationsblut an den Oberschenkeln, da knie ich mit dem Gesicht zum Himmel und aufgerissenen Augen, und der Himmel scheint aus Stahl und tot zu sein. Ich weiß, dass er es nicht ist, ich sehe das Grün der Blätter und rieche die lebendige Feuchte des Holzes, wie damals als Kind, und meine Augen quellen über, als wollten sie sich reinwaschen von abgestorbener Scheiße, aber ich blicke nur und starre, meiner Kryostase Kühlgut, und ich habe verlernt zu frieren und sehe nicht und blicke schockgefroren ins Antlitz des Scheintods dieser Welt.
Gehege V
Da sitzt ihr und studiert, den Hosenboden nass vom Ausfluss eurer Hirne, denn ihr lernt und lernt und lernt Bulimie und ohne jeden Genuss, denn das Wissen zelebrieren im Moment des Erlangens müsst ihr nicht, geschweige denn es behalten. Eure Mägen mahlen mühsam, gurgelnd quetscht der Darm Studentenfutter durch seine Schlingen, deren Windungen so viel kunstvoller sind als eure gebogenen Wirbelsäulen, und ihr blickt und ihr blättert um, eurer guten Noten Verfolger, und ihr begreift nicht und ihr seht nicht und blickt erkenntnislos in den grauen Wirbelsturm, den die Spannung von Schwarz auf Weiß beschworen hat.
Gehege VI
Da sitzt du, sitzt und frisst mit blutigen Lippen und menschlichen Reißzähnen, das halbzerkaute Brot klebt dir im Schnurrbart, am Kinn, und du schlingst, schlingst den Humus vom Naschmarkt hinunter als schmeckte er scheußlich, dabei hast du einfach nur kaum fünf Minuten Zeit. Dein Körper hält das schon aus, du hast ihn ja darauf getrimmt, aber was ist mit dir? Der Sesam steckt zwischen deinen Zähnen, deine Mundhöhle ist voll von gehetztem Speichel, und du blickst und du frisst, deiner Zeit Vergeuder, und hastest schon weiter und du siehst nicht und blickst hinab in das Rosa deines ungesättigten Magens.
Des Zoos Zaun
Da gehen wir, Scherben und Splitter in den Fußsohlen, und halten uns an den Händen, aber wir sind verstummt, ertaubt, für uns selbst und füreinander, und doch sprechen wir, werfen mit Wörtern um uns wie mit Konfetti, merken gar nicht, dass sie auf dem Weg zu Munition werden. Wir blicken und wir wissen es, unserer Paralyse nicht wehrhaft, wir verschließen uns voreinander und fühlen die Wärme nicht mehr und sehen nicht und blicken in den Schlund der Einsamkeit in der Menge.
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