Immer da und nicht
Evas Opa ist tot. Friedlich ist er gegangen, hat die Krankenschwester gesagt. Er hat nicht gelitten und keine Schmerzen gehabt.
Ursprünglich wollte Papa Opa nur besuchen. Papas Stimme klang gefasst durch das Telefon, als er sagte, die Familie solle schnell kommen, es stehe plötzlich schlecht um Opa. Evas Schwester hat geweint, Mama hat auf das Telefon gestarrt, selbst Minuten nachdem sie aufgelegt hatte. Die Zahlen auf der Tastatur gaben weder ihrer Mutter, noch Eva eine Antwort auf die vielen Fragen.
Beim zweiten Krankenhausbesuch wusste Opa nicht mehr, wie Eva hieß. Eva, hat sie gesagt, immer wieder. Ich bin Eva, deine Enkelin. Dabei hat sie gelächelt und die Tränen tapfer weggeblinzelt. Doch dieses Gewicht in ihrer Brust, das konnte sie nicht wegatmen. Opa hat in ihre Richtung geschaut, aber sein Blick ist durch sie hindurchgeglitten. Eva, hat er gekrächzt. Das Leben. Wie schön. Es hat ihr Angst gemacht, diese Leere in Opas Augen. Eine sternenlose Dunkelheit hat Eva angestarrt.
Jetzt war es, als hätte sich diese Dunkelheit auf den Gesichtern der anderen ausgebreitet. Die Wangen von Evas Schwester glitzerten nass, Eva drückte ihren Arm. Zu mehr war sie nicht fähig, Worte hatten keine Kraft, um das zu stemmen, was auf ihrer Brust lag. Das Schweigen wurde allein von den Tönen der Maschinen zerrissen, an denen Opa und sein Leben hing.
Eva lehnte an der Wand, von hier sah sie Opas Profil und den Schatten, den die Neonlampen auf Opas Gesicht zeichneten. Seine eingefallenen Wangenknochen leuchteten grau. Schwach sah sie die Halsschlagader zwischen den Falten pochen. Wie eine kleine Schlange, die ihren Kopf langsam hochhebt und senkt, dachte Eva. Eine kleine Schlange, die ihr sagte, ob Opa noch lebte oder nicht. Poch, poch, poch. Vielleicht würde die Schlange ihren Kopf schneller heben und senken, wenn sich Eva das fest genug wünschte. Vielleicht würde Opa aufwachen und dann könnte Eva ihm von der Schlange im Hals erzählen. Und vielleicht würde Opa sein zahnloses Lächeln lachen und alles würde gut werden.
Doch die Schlange wurde nicht schneller. Kraftlos schlug ihr Kopf gegen Opas Haut. Poch poch.
Als es dann soweit war, veränderte sich die Atmosphäre langsam. Der Tod und Opa sind sich nicht begegnet. Als Opa noch da war, als sich seine Brust flach hob und senkte, da war der Tod nicht da. Doch Eva spürte ihn kommen. Es knisterte um sie und plötzlich stand er neben ihr. Da wusste Eva, dass Opa tot war. Sie blickte auf die Schlange in Opas Hals und sah, wie sie das letzte Mal den Kopf hob. Poch. Opa war weg, der Tod war da. Eva hat den Tod gesehen, Opa nicht.
Der Tod bewegte sich elegant. Er setzte sich ans Bett zu Opas Körper, schaute in die Runde, in die grauen, mit Tränen beklebten Gesichter. Der Tod saß einfach dort auf der Bettkante, lange. Irgendwann nahm er Opas Hand, hauchte einen Kuss und verschwand.
Opas Hand war noch warm, als Eva sie das letzte Mal berührte. Noch Stunden später haftete die Wärme auf Evas Fingern.
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