Immer und immer und immer wieder
Kennst du diese Angst, wenn deine Freunde nicht abheben? Nein? Also lebst du nicht mit der ständigen Furcht, dass sie sich das Leben nehmen? Also fragst du nicht mindestens einmal am Tag, ob es ihnen gut geht? Ob sie noch da sind? Weil du Angst hast. Angst davor, dass sie auf einmal weg sind. Weil du weißt, dass sie leiden. Nur, weil einige Leute es lustig finden, sie zu verspotten. Sie zu beschimpfen. Ihnen zu sagen, wie wertlos sie sind und dass niemand sie will oder je wollen würde. Die sie auslachen und zu Boden stoßen. Einfach nur so. Sodass sie fallen. Immer und immer und immer wieder.
Und dann langsam verwandelt sich deine Stimme in die Stimmen in ihren Gedanken und sie beginnen mit deiner Stimme zu flüstern. Du bist wertlos. Niemand will dich. Schlampe. Du bist so fett, kein Wunder, dass dich keiner mag. Jetzt hören sie dich auch, wenn sie alleine sind. Und sie sind alleine. Alleine in der Dunkelheit. Es lässt sie die Augen nachts nicht schließen. Nacht für Nacht. Das, was sie sind, ekelt sie an und ihr Zimmer ist voller Dämonen, die ihnen zuflüstern. Und doch ist da niemand. Außer ihnen. Und deiner Stimme. Und sie wird immer lauter. Immer lauter und sie werden klein.
Sie fangen an zu hungern, weil du sie fett genannt hast. Damit Hunger den Schmerz überdeckt. Damit sie endlich genug sind. Weil es an ihnen liegt. Denn, wenn sie in den Spiegel sehen, sehen sie nichts andres als das, was du ihnen gesagt hast, dass sie sind. Fett. Und jeder um sie herum sieht sie verblassen. Der Dämon frisst ihr Fleisch. Der Dämon ist so hungrig. Er stürzt sich auf sie, wird größer. Sie fliehen, Hals über Kopf. Doch der Dämon ist schneller.
Sie fangen an ihre Haut zu schneiden und schneiden weg, was sie sind, wer sie waren. Denn, was sind sie schon wert? Nichts. So wie du gesagt hast. Sie sind wertlos. Nach der Zeit hassen sie, was du hasst. Sich selbst. So drücken sie die Klinge in ihre Haut und das Blut rinnt hinab. Die Schnitte werden mehr, das Blut rinnt schneller. Und sie schneiden wieder. Immer und immer und immer wieder. Sie nähren den Durst des Dämons. Und es ist ihre Schuld, ihre ganz allein, wenn der Boden des Bades rot gesprenkelt ist.
Doch sie lächeln, ja, das tun sie. Aber wenn du es dir ansiehst, ist es ein: Lass mich. Ich habe Angst. Du hast gewonnen. Stoß mich nicht wieder zu Boden. Du bemerkst es. Ich weiß es. Du weißt es. Doch du tust es. Du stößt sie zu Boden. Immer und immer und immer wieder.
Sonst stehen sie wieder auf. Wieder. Und immer wieder. Doch nicht dieses Mal. Der Dämon ist zu stark, zu groß, zu schnell. Auf einmal sind sie es, die nicht mehr abheben. Auf einmal liegen sie auf den Gleisen. Stell dir vor es wäre dein Freund. Deine Freundin. Dein Bruder. Deine Schwester. Sie sind fort. Der Dämon hat gewonnen. Du hast gewonnen.
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