In der Dunkelheit
„Weißt du, ich werde ein neues Leben beginnen.“
Schweigen.
„Morgen werde ich nicht mehr hier sein.“
Die Augen musterten mich ausdruckslos. Aber irgendwem musste ich es doch erzählen. Irgendjemanden würde es doch vielleicht interessieren.
„Morgen bin ich entweder in der Hölle oder werde als neues Leben wiedergeboren. Oder einfach weg. Möglicherweise wird meine Seele einfach ausgelöscht. All meine Gedanken, Träume, Wünsche. All meine Traurigkeit.“
Er stand einfach auf.
Lief Richtung Küche.
Ich war zu schwach, um zu folgen. Um aufzustehen und ihm nachzulaufen. Seit Stunden saß ich einfach nur im Flur, an die kalte Wand gelehnt, im Dunklen.
Licht ist doch eine reine Verschwendung. Licht erhellt nur das unaufgeräumte Chaos in meiner Wohnung. Licht zeigt nur meine fettigen unordentlichen Haare, die viel zu blasse Haut, die Augenringe. Licht zeigt mich und ich mag mich nicht besonders.
Nur der Mond schien durch das Fenster, und so konnte ich leicht sehen, was er in der Küche machte.
„Weißt du, die Griechen kannten damals keinen Himmel. Sie hatten nur die Hölle, die in drei Bereiche gespaltet wurde. Ich würde dahin kommen, wo die zu früh Verstorbenen landen. Wie kleine Kinder, Kranke, Selbstmörder.“
Er antwortete mir nicht einmal.
Jedoch wollte ich, dass jemand das hier hörte. Vielleicht sollte ich doch eine Art Abschiedsbrief schreiben.
Und an wen? Es war ja keiner da.
Nicht einmal die kalten Augen starrten mich noch an.
Der Kater hatte angefangen mit ausführlicher Fellpflege, sein Bein gestreckt, leckte er das Fell glatt – seinen Hintern demonstrativ mir zu gewandt.
„Ja, schon klar. Dich interessiert das nicht. Sonst auch keinen. Du läufst immerhin nicht weg. Und das, obwohl du die Tür öffnen kannst. Ich weiß, dass du immer heimlich hoch springst und versuchst, die Türklinke zu treffen. Mh-hmm. Ich hab dich beobachtet. Du bist noch hier. Bei mir. Womöglich nur, weil ich Katzenminze habe.“
Ich seufzte. Wäre ich morgen auch eine Katze? Ein kleines Katzenbaby bei seiner Mama. Blind und unbeholfen. So wie jetzt.
„Du könntest wenigstens Trauer heucheln“, begann ich weiter zu reden. „Viele Leute heucheln Trauer. Ich würde es überleben. Also eigentlich nicht, nein. Metaphorisch gesehen. Metaphorisch gesehen würde ich es total überleben.“
Der Kater hatte sich mittlerweile hingelegt. Er sah mich an, die Katzenaugen desinteressiert. Typisch.
„Denkst du manchmal an den Tod? Oder lebst du einfach immer weiter ohne Neuanfang? Ich will nicht mehr so weiterleben. Das weißt du natürlich. Du hast mir schließlich zugehört, selbst wenn du mir nicht antwortest. Katzen haben gute Ohren. Du hattest gar keine andere Wahl als mir zu zuhören. Im Gegensatz zu den Menschen. Die hören sehr leicht und gerne weg.“
Ich senkte meinen Blick wieder.
Meine Motivation zu Reden war wieder weg. Jedes Wort, das jetzt über meine Lippen kam, würde mich unvorstellbar viel Kraft kosten.
Egal.
Alles was ich tun musste, war hier sitzen zu bleiben.
Morgen war ein neues Leben.
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