In fliegenedem Tempo
Es war einmal ein Mädchen namens Mia Tempo. Irgendwann sollte sie die öde Tempoproduktion der Familienfirma übernehmen. Deshalb wollte Mia etwas Spannenderes daraus machen: Wie wäre es mit einem Tempo-Taschentuch, das einem unsichtbar macht, wenn man es benutzt, oder einem, das sich selbst wäscht, sodass man es für immer gebrauchen konnte? Zuletzt kam Mia die beste Idee von allen: Ein Tempo, das fliegen konnte. Beim Einschlafen rätselte sie an einer Umsetzung dafür herum.
Mia schlüpfte durch das Fenster und betrat den verwunschenen Wald. Dort sollte es von Zauberwesen nur so wimmeln, weshalb sie sich in Acht nehmen musste. Sie hoffte einen Kobold zu fangen, der mit seinen magischen Fähigkeiten, ihr mitgebrachtes Tempo verzaubern würde. Im finsteren Wald schaute sie sich vorsichtig um. Schritt für Schritt ging sie entlang eines schmalen Pfads. Plötzlich unterbrach ein lautes „KNACK“ die unheimliche Stille. Erschrocken wich Mia zurück. Im Busch loderten zwei, grüne Augen… Mia wurde es mulmig zumute. Vielleicht würde sie hier doch keine Lösung für ihr Tempoproblem finden. Als sie sich wendete, … „Ahh!“ Hinter ihr stand jemand: Die frechen grünen Augen waren Teil einer Frau mit dicker Nase und langem, schwarzen Mantel. Mia versuchte ihre Furcht zu verbergen. Als die Hexe Mia anlächelte, kamen spitze Zähne zum Vorschein. „Was machst du hier Mädchen?“, fragte sie mit einer rauen Stimme. Mia hatte kaum Zeit zu schlucken, bevor die Fremde schon weiter krächzte: „Keine Angst, ich möchte dir nur helfen.“ Mia wusste nicht, was sie davon halten sollte. In den Märchen, die sie kannte, waren die Hexen immer die Bösewichte. War es doch anders? „So spät sollte ein kleines Mädchen wie du nicht allein unterwegs sein. Komm doch zu meiner sicheren Hütte.“ Mia schaute sie mit großen Augen an. „Sicher? Wovor?“ Die Frau stapfte jedoch schon durch das Gestrüpp. Mia musste ihr wohl oder übel folgen. Vor ihrer morschen Hütte hielt die Hexe abrupt an: „Ich erinnere mich noch genau an meine letzte Menschenbegegnung vor 100 Jahren. Ein junger Mann führte damals eine ganze Truppe seiner Spezies auf Hexenjagd. Unsere Augen sind wertvoller als jeder Diamant.“ Die Hexe schaute verbittert auf einen Blutfleck auf der Holzhütte. „Sein Name war Arnold Tempo.“ Mia überlief es kalt. Das war ihr Ururgroßvater! Mit gefährlich leuchtenden Augen schnaubte die Hexe: „Hat das Schicksal dich gesandt, um meine Rache zu vollenden?“ Als sich die Hexe mit fliegendem Tempo auf Mia stürzte, …
…schlug sie die Augen auf. Mia lag schweißgebadet in ihrem Bett. Keuchend dachte sie über ihren Traum nach und fand, dass sie die Tempofabrik ihres Vaters doch lieber so übernehmen wollte, wie sie jetzt war. Auch fand sie, dass die originalen Tempos ganz in Ordnung seien: Von tropfenden Nasen, über tränende Augen, bis zu blutenden Fingern, erfüllen sie ihren Zweck bestens. Geschweige denn ihrer Funktion etwas aufzuwischen. Da wäre es nicht besonders praktisch, wenn sie einfach davonfliegen würden.
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