Interaktionen
Ich hole mein Tuch für die Türklinken aus meiner Tasche. Es ist schwarz. Genauso wie das Tuch und meine Einrichtung, denn Farben verursachen mir Kopfweh. Ich lege das schwar-ze Tuch um die Klinke der blauen Tür, wenigstens dunkelblau. Aber trotzdem dröhnt mein Kopf. Vorsichtig drücke ich die Klinke runter. Wie viele Leute die schon angefasst haben müssen! Ich spüre den Schweiß meinen Rücken hinunterlaufen bei diesem Gedanken. Jetzt nur keine Panik entwickeln. Ich lasse das Tuch fallen und drehe mich um, will losrennen. Die vielen Bakterien, die alleine auf dieser Türklinke sind! Meine Schwester stoppt mich. Sie öffnet die Tür für mich. Ich denke, andere Menschen würden jetzt ihre Hand halten. Ich bevorzuge es, nicht berührt zu werden.
Als ich vier war, wurde Autismus diagnostiziert. Meine Eltern haben alles getan, um mir zu helfen, im Alltag besser klarzukommen, obwohl ich denke, dass ich mich eigentlich gut alleine zurecht finde. Naja, oft genug müssen sie mir sagen, ob jemand wütend ist oder nicht.
Der erste Tag in der Schule. Die reinste Hölle. Alle Kinder rennen. Sie reden durcheinander. Manche spielen Musik, andere werfen einen Ball immer wieder auf den Boden. Ich bekomme keine Luft! Der Lärm drängt sich in mein Gehirn. Ich schreie mit aller Kraft. Es wird ruhig. Alle starren mich an, während meine Schwester immer wieder sagt, dass alles okay ist. „Nein!“ schreie ich zurück. Voller Stress renne ich in eine Ecke und setzte mich auf einen freistehenden Stuhl. Panisch reiße ich meine Hefte aus dem Rucksack, um nach einer Minute und fünfzehn Sekunden endlich meine schalldichten Kopfhörer zu finden. Ich setzte sie gleich auf. Ich sage meine Lieblingshunderassen auf. Auf einmal hockelt ein Lehrer neben mir und tappt mir auf die Schulter, fragt was los ist. Ob er wütend ist, weiß ich nicht. Aber er ähnelt dem „Freundlich-Gesicht“ meiner Psychologin, könnte aber auch das „Wütend-Gesicht“ sein. Mein Dröhnen zieht durch meinen Kopf. Stress! Ist er wütend oder freundlich? Wütend oder freundlich! Ich weiß es nicht! Ohne was zu sagen, stürme ich raus! Ich mag es wirklich nicht, wenn mich jemand anfasst. Hier auf die Straße vor der Schule will ich mich setzen, finde jedoch mein Bodenhandtuch nicht. Oh Gott, hat meine Mutter vergessen es einzupacken! Meine Atmung wird immer schneller. Meine Knie wackeln, gleich werde ich ohnmächtig werden. Ich bin den Bakterien am Boden hilflos ausgesetzt.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX
