Irgendwo dazwischen
Ein glatt gebügeltes Hemd, kein einziger Fleck auf der weißen Oberfläche zu sehen. Ein Sakko aus Satin, eine mit Längsstreifen gemusterte Krawatte (keine Querstreifen, denn die magst du ja nicht), perfekt gebunden, keine Faser, die sich aus deinem Jackett gelöst hat. Alles muss schließlich perfekt sein. Dein Haar ist etwas kürzer, fällt mir auf, doch es ist noch immer das gleiche, unverkennbare Schwarz. Kein grauer Haaransatz, nicht so wie bei mir. Gespannt folge ich deinen Lippen, die sich unentwegt öffnen und schließen und denen doch nur leere Worte entfliehen. Dass du dich selbst gerne reden hörst, fiel mir schon zu Beginn auf, doch konnte ich es dir damals nicht verdenken, bei diesem charmanten Lächeln, mit dem du alle zu verzaubern glaubst, den schönen, von langen Wimpern gesäumten Augen, denen ich doch nie ganz vertrau‘. Auch jetzt nicht, so viele Jahre danach. Deine Haltung, noch immer so gerade, die Schultern zurück, das Kinn stets leicht angehoben, stehst du da. Die viele Gestik, das einnehmende Lachen, die kleine Einkerbung in deiner linken Wange. Ich muss schmunzeln. Selbst die Art wie du deine Zigarette drehst, den Tabak gleichmäßig auf dem Papier verteilst, wie du es mit Zeigefinger und Daumen zu etwas Länglichem rollst, sie rauchst, bis nur noch ein kleiner Stummel davon übrigbleibt. All das scheint mir so vertraut.
Und trotzdem kommen aus deinem Mund nichts weiter als leere Worte. Wie schlecht es dir doch gehe und wie unfair alles sei. Überhaupt sei die Menschheit so verkommen, niemand schere sich mehr um den anderen, warum also solltest du es tun? Wie man überhaupt noch Kinder in eine Welt wie diese setzen könne, wo sie doch nur Leid erfahren? Unverantwortlich, sagst du.
Hörst du dir denn eigentlich zu? Hörst du dich selbst noch reden, wenn du vom Klimawandel sprichst, eine Farce wie du es bezeichnest, von den linkslinken Medien konstruiert und reproduziert, nur um Panik zu schaffen. Flüchtlingsströme, im Meer ertrinkende Menschen, Kriege, die ohne unser Wissen geführt werden. Man solle dir ja nicht so kommen, meinst du. Warum anderen helfen, wenn du es doch selbst schwer genug hast? Mein leises Lächeln, das warme Gefühl in meinem Inneren, das bei deiner so vertrauten Art in mir aufkam, verschwindet ganz und etwas anderes überkommt mich wie Blei. Drückt mich nieder, scheint mich zu erwürgen. Ein Schatten deiner selbst bist du. Irgendwo zwischen Verschwörung und Irrglaube, zwischen Katastrophen und Verwüstung, zwischen Jugend und dem Alter, habe ich dich verloren. Zurück bleibt deine Bequemlichkeit, mit der du dich vor anderen verschließt, deine düsteren Gedanken, die jegliches Mitgefühl in dir zum Erloschen gebracht haben. Nur noch der Hass ist dir geblieben. Wo ist dein Mut, frage ich dich. Hass ist etwas so Einfaches und Banales, doch zu lieben erfordert Mut. Wo also ist dein Mut? Verloren, sagst du. Verloren mit der Zeit, in deinen finsteren Gedanken, hinter deinem hohlen Lächeln und deinem leeren Blick.
Irgendwo dazwischen.
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