Ist es das Wert?
Kälte umgab meinen Körper. Betäubte meine Sinne. Blut tropfte aus meiner Wunde auf den eiskalten Boden. Mein ganzes Leben spielte sich nochmal vor meinen Augen ab. Alles wurde auf einmal so bedeutungslos und klar wie nie zuvor. Manche Sachen bereute ich zutiefst und würde sie gerne rückgängig machen können. Aber mit einem weiteren Atemzug war alles vorbei. Aber das war erst der Anfang vom Ende.
Nachdem ich die Leiche des Mädchens entsorgt hatte, kehrte ich zu meinem Versteck zurück, wo ich meinen Rachezug plante. Drei von insgesamt fünf Personen mussten schon mit ihrem Leben bezahlen. „Diese Mädchen zu töten, wird mich nicht mehr zurückbringen, Daddy“, ertönte plötzlich die liebliche Stimme meiner Tochter in meinen Ohren. Ungläubigkeit spiegelte sich in meinem Gesicht wider. Das war unmöglich. Sie war tot. Hatte sich selbst das Leben genommen. Aufgrund des Mobbings in der Schule. Aufgrund der Mädchen in der Schule. Mein ganzer Hass kam wieder hoch. Wegen dieser Gören, nahm sich mein unschuldiges Mädchen das Leben!
„Sie haben es nicht anders verdient! In der Hölle sollen sie schmorren!“, brüllte ich hasserfüllt in die Leere des Zimmers und erwartete keine Antwort. Doch als ich mich umdrehte, erblickte ich sie. Meine Tochter. So zart und lieblich, wie ich sie in Erinnerung hatte.
„Seit wann darfst du über Leben und Tod entscheiden, Daddy?“, antwortete sie mir traurig und schien von mir enttäuscht zu sein. „Sie müssen büßen für das, was sie angerichtet haben!“, entgegnete ich ihr mit einem finsteren Gesichtsausdruck. „Hast du denn gar keine Schuldgefühle, Daddy? Möchtest du nicht Frieden? Willst du nicht endlich mit diesem tragischen Kapitel abschließen können?“, durchlöcherte sie mich mit Fragen. Dabei fühlte ich zum ersten Mal wieder etwas. Ich konnte nicht definieren, was es war, aber es fühlte sich scheußlich an.
„Ich habe erst meinen Frieden, wenn ich meine Bestimmung erfüllt habe! Verschwinde! Ich brauche deine Schuldgefühle nicht!“, erwiderte ich wütend und war völlig außer mir. „Ich kann aber erst gehen, wenn du mich wegwünschst“, stellte sie klar und blickte mir mit großen traurigen Augen an, welche dieses Gefühl in mir nur verstärkten. „Nein! Nein! Das…das ist doch nicht real! Ich weigere mich das zu glauben! Geh jetzt! BITTE!“, schrie ich ihr wutentbrannt ins Gesicht, wobei es letztendlich eher ein Betteln war, dass sie aufhören sollte die Wahrheit zu sagen, welche ich immerzu verdrängt hatte. Jedoch bereute ich das Ge-sagte zutiefst, denn ich hatte meine Tochter noch nie so angeschrien.
Von diesem Augenblick an erkannte ich, wie sehr ich mich eigentlich verändert hatte. Wie sehr ich mich zu einem Monster entwickelt hatte. Es war, als hätte mir jemand den grauen Schleier vom Gesicht weggezogen. Meine Tochter war so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Aber nun konnte ich die Schuldgefühle zulassen. Ich konnte jedes Gefühl wieder zulassen. Nun werde ich sie nicht mehr bitten zu gehen.
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