Ist nicht alles immer gleich?
Den Blick auf den schmutzigen Asphalt gerichtet, gehe ich nach Hause.
Ich bin diesen Weg schon hunderte Male gegangen. Er ist jedes Mal anders und doch auch immer gleich. Wie oft habe ich die gleichen Gedanken wieder und wieder gedacht? Wie oft haben die gleichen Sorgen in meinem Kopf zirkuliert?
Doch oft ändert sich auch etwas. Kein Tag ist gleich. Kein Tag wird von der exakt gleichen Stimmung begleitet.
Was aber unterscheidet mein Leben von dem der anderen? Ist es nicht genau gleich wie dieser Weg hier? Ist es nicht wertlos? Wenn ich etwas nicht tue, tut es eine andere. Wenn ich es tue, tut es eine andere nicht. Was habe ich dann für einen Sinn? Bin ich nicht nur eine Belastung für die Welt? Jemand der sie verwendet, aber nichts zu bieten hat?
Jedoch… Letzten Mittwoch hat man mir gesagt, es sei schön mich zu sehen. Mittwoch ist ein guter Tag. Freitag ein schlechter. Vielleicht existieren wir auch nur für andere. Vielleicht sind wir die Lichtblicke der anderen.
Hier sehe ich allerdings keine Lichtblicke. Ich sehe nur den schmutzigen Asphalt und sinke wieder zurück in meine Sorgen und Ängste.
Ich bin nicht perfekt. Viel eher das Gegenteil davon. Umso mehr ich mich bemühe alles richtig zu machen, umso mehr mache ich falsch. Dabei könnte man meinen, es wäre leicht, perfekt zu sein. Einfach immer die richtigen Entscheidungen treffen und aus gelegentlichen Fehlern lernen. Doch warum begehe ich dann immer die gleichen Fehler? Warum ist das Gelernte auch immer ein Fehler?
Ich wünschte, ich wäre bereits zuhause. Dann könnte ich mich in die Musik flüchten und alle Fragen auf den nächsten Nachhauseweg aufschieben. Was andere Prokrastinieren nennen, nenne ich Realitätsentweichung.
Hier jedoch kann ich mich nirgendwohin flüchten. Hier bin ich den Gedanken schutzlos ausgeliefert. Ich schiebe mich an ihnen vorbei und meine Schuhe durch das raschelnde schon gestorbene Laub, das den rauen Asphalt darunter verbirgt.
Am Wegesrand liegt eine glänzend braunrote Kastanie. Sie sieht aus, als hätte man sie geradewegs dorthin gesetzt. Ich bücke mich und hebe sie auf. Weg sind alle Gedanken, als ich unter meinen Fingern die kühle, glatte Schale fühle. Sie sieht so aus, als hätte ihr Leben gerade erst begonnen. Als wäre ihr Leben vollkommen, und nichts könnte sie davon abhalten das zu tun, nach dem sie begehrt. Durch meine Fingerkuppen nehme ich das Gefühl von Herbst, Licht und Geborgenheit in meinen Körper auf. Es strömt mit meinem Blut durch alle meine Venen und Arterien bis es schlussendlich bei meinen Lippen ankommt und ich lächeln muss.
Jetzt ist dieser Tag etwas Besonderes.
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