Jetzt im Wald
Ich renne. Bald bin ich beim Wald. Endlich. Auf den Moment, wenn die Bäume und Sträucher immer dichter, das Gras immer höher und der Boden immer weicher werden, freue ich mich schon den ganzen Tag. Es waren wieder mal viel zu viele Eindrücke und viel zu wenig Zeit, um das alles zu verarbeiten. Aber jetzt bin ich ja hier. Ich spüre, wie die frische, kühle, nach Wald duftende Herbstluft, von der ich gar nicht genug bekommen kann, mich durchströmt und atme tief ein und aus. Den ganzen Tag habe ich so viele Geräusche ausgeblendet, aber jetzt höre ich ganz bewusst auf die Geräusche des Waldes. Das Zwitschern der Vögel, das Zirpen aus dem feuchten Gras und das Rauschen eines Baches in der Ferne. Es dauert nicht lange, bis ich einen angenehmen Rhythmus zum Laufen gefunden habe. Den ganzen Tag bin ich herumgerannt wie eine Verrückte, ohne wirklich viel mitzubekommen und aufzunehmen, aber jetzt spüre ich jeden Schritt, den ich auf dem weichen Waldboden mache. Es fühlt sich so leicht an, als wäre ich ein hopsendes kleines Kind, dass sich zum ersten Mal an der Schönheit des Waldes erfreut. Plötzlich fühle ich mich so befreit und glücklich, dass ich wirklich beginne, vom Joggen in ein ausgelassenes kindliches Hopsen überzugehen. Das gleiche musste ich noch heute Früh im Sportunterricht machen, nur hat mich dabei meine Sportlehrerin spöttisch angeschaut, weil ich einfach nicht den richtigen Rhythmus gefunden habe und nach jedem Hüpfer fast über meine eigenen Beine gestolpert wäre. Aber jetzt werde ich immer schneller und springe immer höher, als könnte ich abheben und den Himmel erreichen. Nach und nach denke ich über alles nach, was heute passiert ist. Über Mitschülerinnen, die mich vor ein paar Stunden noch richtig wütend gemacht haben. Und auch das Treffen mit meiner besten Freundin, das ich mir heute ausgemacht habe, fällt mir wieder ein. Beim Vereinbaren war mein einziger Gedanke noch, wie ich es möglichst schnell und ohne viel Zeitaufwand in meinem Terminplan unterbringen kann, aber jetzt freue ich mich richtig darauf. Ich beschließe, kurzfristig alle vernünftigen Einwände zu ignorieren und lasse mich einfach in das nasse Gras fallen. Ich bin so glücklich, dass ich strahle und am liebsten laut schreien würde. Es ist, als würde die Zeit, nachdem ich den ganzen Tag nur gewartet habe, dass sie vergeht, für einen Moment stillstehen. Ich will diesen glücklichen Moment, der nur mir gehört, den ich nur für mich erlebe und den ich mit niemandem teilen muss, einfangen und immer dann wiedererleben, wenn ich mal wieder vergesse, wofür ich eigentlich lebe. Ich weiß, dass er vergehen wird, dass er nicht mehr der Moment sein wird, sondern nur noch ein Moment. Aber er ist ein guter Moment und sein Moment ist jetzt. Und jetzt ist alles was zählt.
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