Jetzt oder nie
Der Regen prasselte unaufhörlich auf die Metalldächer des Industriegeländes – erzeugte ein blechernes Echo. Inmitten der verlassenen Dächerlandschaft verstecke sich Faith.
Ganz nah an einen Schornstein gepresst saß die Kopfgeldjägerin da und kniff die Augen zusammen, während sie durch das Visier ihrer Zielvorrichtung blickte.
Jede Sekunde war bedeutend, sie hatte nur eine Chance. Eine Chance, um ihre Mission erfolgreich abzuschließen.
Sie sollte einen Straftäter beseitigen, einen der sich nach 2 Monaten erfolgloser Suche in Sicherheit fühlte. Einer, der es geschafft hat, zahlreiche Agenten in die Irre zu führen. Einer, für den Faith explizit beauftragt wurde ihn zur Strecke zu bringen.
Die Kopfgeldjägerin war berüchtigt für ihre Präzision und Zielstrebigkeit. Keine Zeugen, keine Spuren – jeder Auftrag wurde perfekt ausgeführt. Kein unnötiges Risiko, keine Emotionen – nur der Job.
Das Aufspüren hat sich als leichter herausgestellt als sie dachte. Und dabei musste sie nicht einmal Kontakt mit einer Person aufnehmen.
Nach nur zwei Wochen intensiver Suche hatte Faith ihr Ziel gefunden. Einen flüchtigen Wissenschaftler, der mit hochexplosiven Substanzen experimentiert hatte und damit für einige Tote gesorgt hat – sich demnach einige Feinde gemacht hat.
Die Spuren deuteten auf dieses Industriegelände hin. Und wo genau er sich gerade befand musste die Kopfgeldjägerin jetzt herausfinden.
Im Haus gegenüber brannte vor einer viertel Stunde noch Licht, laut Stromverbrauch das einzige Gebäude in den letzten 4 Wochen.
Nach zwei Stunden regungslos dasitzen wechselte Faith im Schatten ihre Position ein Stück nach rechts - breitete ihr Sichtfeld weiter aus.
Und da war er. Faith erkannte ihn nur sehr schemenhaft durch die verregneten Fensterscheiben.
Er saß an einem sehr kargen Esstisch. Nur ein einziger Sessel, keine Dekoration. Er saß einfach nur da mit dem Kopf in den Händen vergraben.
Die Kopfgeldjägerin visierte den Mann und vergrößerte das Bild.
Die Zeit schien still zu stehen. Die Geräusche um Faith herum verstummten, das Regenprasseln auf ihre Ausrüstung nahm sie gar nicht mehr war. Das Einzige, was zählte war das Kreuz, das sich nun direkt im Nacken der Beute befand.
Und dann hob er den Kopf.
So, als hätte er es gespürt, sah er in die Richtung der Kopfgeldjägerin. Starrte geradewegs auf den Schornstein. Er konnte sie doch nicht gesehen oder gehört haben, oder?
Es vergingen einige Augenblicke, in denen nichts passierte. Faith hätte es besser wissen sollen, sie hätte schon längst schießen sollen.
Doch ihr Finger war wie gelähmt. Schwebte über dem Abzug, aber reagierte nicht auf die Befehle ihres Gehirns. Kalter Schweiß breitete sich auf ihrer Stirn aus – was war mit ihr los? Ihre Augen brannten, flehten darum, wieder befeuchtet zu werden, doch Faith traute sich nicht, die Augen auch nur einmal von ihrem Opfer abzuwenden.
Und dann betätigte sie den Abzug. Sie schoss und das Opfer sackte zusammen.
Erledigt.
Sie atmete aus.
Und keiner muss wissen, dass sie Schwäche gezeigt hat.
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