Jetzt sind wir hier
Alles sieht anders aus hier. Trauriger, verlassener, stiller.
Das Land aus dem ich komme, war ein fröhliches Land. Eines mit grünen Feldern, bunten Häusern, blauem Himmel. Dort gibt es nur fröhliche Menschen. Gab es nur fröhliche Menschen. Bis vor etwa einem Jahr. Da kam ein fremder Mann in unser Land. Er meinte, er sei wichtig, könne helfen. Doch er trug viel Bosheit in sich, viel Wut und Ärger. Er mag die Menschen nicht. Und er weiß nicht, wie man fröhlich ist. Er hat es vergessen. In der Nacht gab es oft laute Geräusche. Es hörte sich an, als würden Luftballone platzen. Riesengroße Luftballon. Seinen Ärger, die Wut und Bosheit übertrug der Mann auf andere Menschen. Wie eine ansteckende Krankheit. Innerhalb kürzester Zeit wurden Tausende infiziert. Papa nicht.
Eines Nachts wurde Papa weggebracht. Da waren laute Männerstimmen. Geschrei. Es hat mich aufgeweckt.
Seitdem hat sich viel verändert. Sehr viel. Und sehr schnell.
Meine Mutter hat mich schon in der Morgendämmerung geweckt, hat mir über den Kopf gestreichelt und gesagt, wir müssten gehen. Ich habe sie gefragt, wohin es gehe. Sie hat mich angeschaut, hat ein kleines bisschen gelächelt und mich an der Hand genommen. Dann sind wir gegangen. Zuerst habe ich mir Sorgen gemacht, Mama schien nicht sehr froh. Als ich aber gesehen habe, dass sie einen kleinen Koffer bei sich trug, habe ich begonnen mich zu freuen. Ich habe mir gedacht, wir machen eine Reise, einen Urlaub. Eine Überraschung.
Es folgte eine Busfahrt. Sie war lange. Sehr lange. Ich versuchte zu schlafen, doch wurde oft geweckt vom Lärm der vielen Menschen und von der stickigen Hitze. Meine Mutter und ich saßen gemeinsam mit einer anderen Frau zu dritt auf einem Platz, der eigentlich nur für zwei Personen bestimmt war. Irgendwann blieb der Bus stehen. Es stiegen Männer ein, sie alle trugen Uniformen. Sie sagten etwas in einer fremden Sprache. Schrien fast. Sie hörten sich wütend an, gestikulierten wild mit ihren Händen in der Luft herum. Nach einigen Minuten stiegen sie wieder aus. Wir konnten weiterfahren. Wie davor. Doch der Lärm im Bus war verstummt.
Noch immer wusste ich nicht, wohin es ging.
Irgendwann fuhren wir von der Autobahn ab. Um uns herum ragten Berge in die Höhe.
Grüne Felder, Wolkenhimmel. Doch bunte Häuser gab es hier nicht.
Plötzlich rief jemand etwas: Grenze. Dieses Wort habe ich verstanden. Mit einem Mal erhoben sich die Menschen im Bus. Sie begannen zu lachen, zu weinen, zu jubeln. Ich wusste nicht was los war, schaute meine Mutter fragend an.
Wir sind da, sagte sie.
In den letzten zwei Monaten haben wir in insgesamt vier verschiedenen Häusern gewohnt. Jetzt sind wir hier. Gemeinsam mit meiner Mutter bewohne ich ein kleines Zimmer in einem kleinen Haus in einem kleinen Dorf. Die Häuser sind nicht so bunt, die Menschen nicht so fröhlich.
Alles sieht anders aus. Trauriger, verlassener, stiller.
Alles ist neu.
Aber friedlich.
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