Kaleidoskop des Lebens
Dämmerung. Ratternde Ketten. Ich steige ein. Die Welt scheint still zu stehen. Autos fahren schnell an mir vorbei. Laute, hallende Geräusche, die mit immer gleichem Klackern lauter werden. Sein Atem wird flacher. Es ist drückend voll mit Menschen. Ich ziehe meine Jacke fester um mich. Klackern im Rhythmus des Herzschlages, der immer schneller pocht. Sein Körper auf meinem Schoß wird immer schwerer. Ich halte mich an einer Stange fest. Unten, am Boden, verschwimmen die Menschen zu kleinen, bunten Flecken. Kalter Wind verfolgt mich mit jedem meiner Schritte. Zu dieser Zeit scheint es, als seien alle Menschen der Stadt gerade auf dem Heimweg. Man bewegt sich stetig aufwärts, den Blick in den blauen Himmel gerichtet. Ich halte ihn fester an mich. Meine Füße bestehen aus Eisklumpen. Ich höre nicht auf über das Fell zu streicheln. Die Bahn setzt sich in Bewegung. Der Wind rauscht. Ich bereue es, nicht auf den nächsten Bus gewartet zu haben. Es wird immer kühler. Ich werde leicht von einer Dame neben mir angerempelt. Weit kann es nicht mehr sein. Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, verbreitet sich im ganzen Körper, alles kribbelt. Drückende Hitze. Alles fühlt sich anders an. Mein Körper ist angespannt, ich lehne mich weiter in den Sitz zurück. Die Luft ist eisig, aber auch erfrischend. Sein Kopf liegt schief auf meinem Schoß. Ein nach Schweiß und Abfall riechender Duft. Der Wagen ruckelt kurz, man hat fast das Gefühl, er würde stehen bleiben. Über mir sind die ersten Sterne zu sehen. Ich blicke auf mein Handy. Kein Mensch ist mehr unterwegs. Die Augen sind müde. Die Bahn hält an der nächsten Station. Plötzlich kippt der Wagen. Ich kämpfe weiter gegen die Kälte und den Wind an. Menschen steigen ein. Ohne Vorwarnung werde ich nach hinten in den Sitz gepresst. Meine Augen tränen. Mein Blick schweift zur Tür. Ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit. Trotzdem voller Vertrauen. Ich spüre etwas Feuchtes auf meiner Wange. Plötzlich sehe ich ihn. Ich flüstere ihm leise Worte zu. Ein Fremder, und doch kommt er mir so bekannt vor. Verzweifelt erzähle ich Geschichten. Dann auf meinen Händen. Die Geräusche der Bahnstation verblassen. Alles wird gut werden. Adrenalin. Ich bleibe stehen. Meine Stimme zittert. Das Murmeln und Gelächter der Menschen verstummen. Stille. Bald ist es vorbei. Das Herz macht einen Sprung. Einzelne, weiße Flocken tanzen sanft vor mir aus der Dunkelheit. Ein kurzer, unbeschwerter Blick. Ich will es nicht wahrhaben. Leuchtende, dunkle Augen. Ich strecke meine Hand danach aus. Unwillkürlich grinse ich. Es werden immer mehr Flocken. Als könnten sie in mein tiefstes Inneres sehen. Ich werde niemals aufstehen. Für einen kurzen Augenblick bleibt die Zeit stehen. Leicht und lautlos tanzen sie durch die Luft. Aus dem Grinsen wird ein Jauchzen. Es wird unser letztes Mal zusammen hier sein. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Beinahe schwerelos. Tränen laufen mir übers Gesicht. Sie glitzern im fahlen Laternenlicht. Mir wird unglaublich heiß.
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