Kein Entrinnen!
Ruckartig wache ich auf und blicke mich in meiner Wohnung um. Aus dem Augenwinkel erhasche ich den Grund für mein frühes Erwachen - auf meinem Handy-Display leuchtet eine Nachricht von einer unbekannten Nummer auf. Wer würde mir um diese Zeit schreiben, es ist 7: 00 Uhr an einem Samstagmorgen? „Hey“, steht da zu lesen. Wer kann das sein? Da ich jetzt sowieso nicht mehr einschlafen kann, mache ich mich auf den Weg in die Küche. Meine Gedanken schweifen immer wieder zur Nachricht zurück. In meinem Kopf bilden sich Theorien um Theorien, bis ich zum Schluss komme, dass die Person sicher die falsche Nummer hat und vergesse die Nachricht wieder.
Als ich eine Woche später, nach einem langen Tag auf der Arbeit, nach Hause komme, will ich nur noch schlafen. Doch plötzlich vibriert mein Handy und eine Nachricht poppt auf. „Ein nettes schwarzes Etuikleid hattest du heute in der Bank an“, ist da zu lesen. Das Blut gefriert mir in den Adern und mir wird schwarz vor Augen. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich beobachtet werde. Die einst so geliebten großen Fenster meiner Wohnung scheinen nun eine große Gefahr zu sein. Wie eine Ratte im Labor bin ich den Blicken der Außenwelt ausgesetzt. Stocksteif liege ich in dieser Nacht in meinem Bett und mache kein Auge zu. Die Stunden bis zum Sonnenaufgang fühlen sich an wie Tage. Am Morgen schleppe ich mich in mein Badezimmer. Als ich aus der Dusche steige und vor den Spiegel trete, erblicke ich darin das Gesicht einer Fremden. Unter meinen blutunterlaufenen Augen sind tiefe Augenringe. Das Glitzern in meinen Augen ist erloschen.
Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und bemerke dabei, wie spät es schon ist. Auf dem Weg zur Arbeit kommt mir die Nachricht wieder in den Sinn und mir wird aufs Neue schlecht. Mein Gesicht ist eine starre Fassade und meine Hände sind hinter meinem Rücken verschränkt, um zu verbergen, wie stark sie zittern. Mein Handy-Display leuchtet erneut auf und erschüttert lese ich: „Ich hoffe, du hast einen schönen Feierabend.“ Ich flüchte auf die Toilette. Mein Gesicht ist tränenüberströmt und meine Lunge beginnt zu brennen. Ich starre in den Spiegel und befehle mir selbst: „Du kannst jetzt nicht hyperventilieren. Stell dir vor, es kommt jemand durch die Tür.“ Für einen kurzen Moment hoffe ich, dass jemand hereinkommt, doch diesen Gedanken verwerfe ich sofort. Ich möchte meine Probleme nicht anderen aufladen.
Auf meinem Heimweg kommen mir die vertrauten Straßen fremd und gefährlich vor. An meiner Wohnungstür lasse ich mit einem großen Seufzer die Luft aus, die ich unbemerkt angehalten habe. Endlich bin ich in Sicherheit! In meinem Briefkasten steckt ein Zettel. Mit großen roten Buchstaben ist darauf zu lesen: „DU KANNST MIR NICHT ENTKOMMEN“. Ich erstarre. „Hätte ich nur jemandem davon erzählt“, denke ich mir. Im Sprint laufe ich zum Bett, krieche unter die Decke und kauere mich ins Eck. Von diesem Standpunkt aus habe ich die ganze Wohnung im Blick. Ich höre mich selbst sagen: „Geh, bitte.“
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