Kein Traum?
Es war der 15. Oktober 1987, ein Donnerstag. Mit meinem älteren Cousin saß ich draußen am Teich, als uns meine Mutter zum Essen rief. Wir hatten Fische gefangen.
Es war ein sonniger Herbsttag und man hörte den Wind durch das herumliegende Laub rascheln. Abwesend von allen Gesprächen, sah ich hinüber auf den Teich. Ich beobachtete, wie sich die bunten Blätter der Bäume auf das Wasser legten. Als meine Mutter in einem unsanften Ton meinen Namen aussprach schreckte ich auf. „Hörst du mir nicht zu? !“, fragte sie.
Sie erklärte mir, dass sie später in die Stadt fahren würde, um ein paar Sachen einzukaufen. Mein Cousin Thomas und ich sollten inzwischen den Abwasch machen. Als wir nun fertig waren und nichts mehr zu tun hatten, überlegten wir, in den Wald zu gehen.
Einen Teil des Waldes kannten wir in und auswendig, also beschlossen wir, etwas weiter hineinzugehen, um den Rest zu erkunden.
Nach einer Weile waren wir etwas erschöpft und wollten uns an einem ruhigen Platz ausruhen.
Und da war er, der perfekte Ort, um sich zu entspannen. Wunderschön. Dort war ein kleiner See mit strahlend blauem Wasser und einem winzigen Wasserfall, der zwischen zwei großen Tannen hervorfloss.
Interessanterweise schwamm kein einziges Blatt auf der glitzernden Wasseroberfläche, wo es doch Herbst war. Das machte mich etwas stutzig. Noch nie zuvor hatte ich so einen klaren Waldsee gesehen. Da kam mir eine Blitzidee. Ich vermutete, dass das Wasser sehr kalt war. Besonders warm war es draußen auch nicht. Also wettete ich mit Thomas, wer von uns beiden es schafft, länger im Wasser zu bleiben.
Wir traten gleichzeitig mit einem Fuß ins Wasser und dann ging alles so schnell, dass ich durch den Schock keinen Muskel bewegen konnte. Wir wurden unter Wasser gezogen, es fühlte sich an wie ein starker Sog.
Zu unserem Glück wurden wir direkt wieder von dem See ausgespuckt. Aber es sah alles anders aus.
Ein Gefühl der Angst überkam mich. „Wo sind wir?“, dachte ich mir. Ich sah zu meinem Cousin. Er war kreidebleich im Gesicht und zitterte am ganzen Körper.
Der halbe Wald war weg und da standen Häuser. Viele Häuser. Und sie waren riesig. Überall Menschen, aber so seltsam gekleidet. Und wozu trugen sie diese weißen Masken vor dem Mund. Ich sprach einen vorbeigehenden Mann an, fragte, was hier los sei und ob er mir sagen könne, welches Datum wir haben, denn für Halloween war es doch noch zu früh. „Wir haben den 15. Oktober.“, antwortete er. Ich sah ihn verwirrt an. „Der 15. 10. 2020.“ betonte er nochmals. Mir fuhr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Thomas sah mich verzweifelt an.
So schnell wir konnten, rannten wir zurück zum See. Dort angekommen mussten wir erstmal verarbeiten, was wir gerade gehört hatten. Doch lange zögerten wir nicht. Wir sprangen in den See und…
„WACH DOCH ENDLICH AUF!“, schrie meine Mutter mich an. Sie rüttelte meinen Körper.
Ich setzte mich im Bett auf. Mit verschlafenen Augen sah ich mich im Zimmer um.
Das kann doch kein Traum gewesen sein.
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