Kinder des Waldes
Es ist 7: 36 Uhr, als Anna von den dröhnenden Sirenen geweckt wird. Sie weiß genau, dass der heutige Tag genau so furchtbar sein wird wie gestern oder der Tag davor oder der Tag vor-davor. Immerhin ist es 2122 und der Hundertjährige Krieg scheint nie ein Ende zu finden.
Der Krieg begann im Jahre 2022. Mit der Atomkatastrophe in der damaligen Ukraine wurde die Bevölkerung des Landes vollkommen ausgelöscht. Alle bis auf ein kleines Volk in den Tiefen der Urwälder. Die Leute im Wald waren eng mit der Natur verbunden und konnten deren Kräfte für sich meistern und so überleben. Abgeschnitten. Das sind die sogenannten Kinder des Waldes. Als Teil dieses Volkes kann Annas Familie Feuer bändigen, Wind heraufbeschwören und mit den Geistern des Waldes kommunizieren.
Mit einem Seufzen und dem Rollen ihrer Augen, schwingt sie die Bettdecke beiseite.
Sie geht zu dem Bett ihres jüngeren Bruders, um zu sehen, ob er schon wach ist. Wie immer, ist er tiefschlafend aufzufinden. Kleine Kinder werden selbst von einem Sirenengeheul nicht wach.
„Denys! Wach auf, wir müssen zum Keller runter“ schreit Anna so laut es geht und rüttelt den 6-Jährigen zum Bewusstsein.
„Aufwachen! Mama wartet sicher schon auf uns.“
Endlich wird Denys wach und blinzelt seine große Schwester an. Ohne Eile rappelt er sich auf und folgt Anna zur Kellertür ihres kleinen Hauses. Es ist vielmehr eine Hütte als ein Haus. Die Geschwister gehen barfuß die kalten Steintreppen hinunter und sehen, wie ihre Mutter müde aussehend auf der Matratze des Kellers sitzt.
Seit Anna sich erinnern kann, war ihr Keller zu einem make-shift Bunker umfunktioniert gewesen. In dem viel zu kleinem Zimmer liegt eine viel zu große Matratze mit ein paar alten löchrigen Decken. Daneben, wo noch ein kleines bisschen Platz ist, steht ein alter Camping Kocher. Der Keller ist dunkel und kalt. Soviel auch gelüftet wird, es riecht immer nach feuchtem Stein und Moder, nur wenn Marina unten sitzt, ist es gemütlich warm. . .
Annas und Denys´ Mutter, Marina, ist genauso an das ewige im Keller Sitzen und Warten gewohnt wie ihre Kinder. Marina ist eine Frau, die selbst in Zeiten des Krieges nicht vergisst, sich hübsch zu machen und Wert auf ihr Aussehen zu legen. An diesem Morgen sitzt sie mit Lockenwicklern in ihren dunkelbraunen Haaren, gekleidet in einem eleganten pflaumen-violetten Nachtkleid, das sie von ihrer Urgroßmutter aus Vorkriegszeiten geerbt hat. Sie richtet ihren Blick starr auf einen Spiegel, der die Feuerkraft ihrer Augen reflektiert und den Keller mit wohliger Wärme erfüllt. Sie öffnet dem Mund, als wolle sie etwas sagen, doch erschrickt, als Anna mit einem starken Windstoß die Tür hinter sich zuknallt.
„Anna! Es ist schon laut genug OHNE, dass du mit deinen Kräften die Tür zuhaust!“, meint Marina in diesem typischen Mutter-Ton.
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