Kindheit in der Stadt
Sie hat früher zu ihren Eltern aufgeschaut und wurde von einem Gefühl überfahren, dass sie über alles Bescheid wissen müsste, was diese getan und erlebt hatten. Genau so, wie einem während dem Essen plötzlich tausend Dinge einfallen, die man erledigen sollte, man aber damit einhergehend die Fantasie entwickelt, die Möglichkeiten, das zu tun, würden in der kurzen Zeit, die man braucht, um fertig zu essen, gleichbleiben, sind ihr, sobald sie dann in die Schule kam, alle möglichen Ideen gekommen, und neue Sichtweisen haben sich entwickelt, die Ehrgeiz von ihr erwarteten. Und in diesem Ehrgeiz hat sie die Kraft des Willens gegen das Nichtstun gefunden, sich immer Neues vorzustellen.
Aber später verstand sie, dass man nichts davon für umsonst bekam; dass man sich an die Pläne und die Rituale und das Singen in der Gruppe halten musste, als würde man die ganze Zeit im Stuhlkreis unter der Beobachtung der anderen sitzen. Plötzlich war die glänzende Zukunft zu einer realistischen, in den danach kommenden Enttäuschungen unnachgiebigen Erwartung verblasst. Den Älteren, die damals an der Schule vorbeigingen, und in die Fenster schauten, schien es, als ob sie und ihre Klasse ein Theaterstück abspulten. Aber man kann es nicht von außen bewerten, wie erdrückend für ein Kind das ganze spätere Leben ist und alle Möglichkeiten, etwas auf bestimmte Weise zu tun. Anscheinend brauchen sie die Regeln und eine Art, miteinander umzugehen, um sie vorzuschieben und statt „Bin ich richtig?“, zu fragen „Habe ich das richtig gemacht?“. In den Augen mancher Kinder sieht man anfangs immer noch die erste Frage. Zuerst sehen sie damit nur die Lehrerinnen, die ihnen bunte Bildchen zeigen und kurze Beispielsätze für das Leben vorlesen; „Frau Müller geht einkaufen.“, „Bello macht Radau vor der Tür.“ Sie sind lang genug, um kein Misstrauen zu wecken, es gibt kein Subjekt, das untätig wäre, keine Handlung ohne ihren Verursacher.
Sie hat irgendwann aufgegeben, sich mit ihnen zu vergleichen, wie wenn man weitergeht, nachdem einen jemand auf der Straße fragt, wie viel Uhr es ist und sich nach der Antwort nicht umdreht, um das Praktische, Allgemeine zu tun, was er doch mit dieser Frage versprochen hat, vorzuhaben. Dieses Praktische ist übrigens die Ursache dessen, dass man sich beeilt, wenn man durch Modegeschäfte geht. Die Anderen haben genau damit angefangen; keine Fremden mehr angesehen und sich auf die Sprache, Bewegungen aus dem Augenwinkel und Straßen, Trambahnen und Lichter verlassen. Sie bleiben nicht mehr stehen, um zu beobachten, sie gehen selbst.
Und wenn sie versucht, die Zukunft, auf die sie alle hinarbeiten, in die Gegenwart zu stellen und die Vorfreude als Glanz über den Dingen wieder aufzubringen, wankt sie, wie man es tut, wenn man an einem Hochhaus entlang nach oben sieht.
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