Kirschrot
So groß und doch so klein. In ihrer rotschimmernden Pracht in der Sonne. Allein. Vor mir. Für mich. Ein Augenblick. In der Sonne wiegt sie sich durch den Wind wie ein Baby in einer Wiege und dazu ächzen die Bäume. Vorsichtig, leise und unauffällig. Und doch sehr präsent. Vor mir. Für mich. Der Augenblick. Sachte stelle ich mich mit meinen, jetzt frisch gebadeten, nackten Füßen auf deren Spitze. Das grüne Gras unter mir kitzelt an meinen Zehen. Um nicht umzukippen, suche ich mir einen Punkt bei ihr. Ich setze meine visuellen Wurzeln in die Erde, die mich halten. Jetzt könnte mich kein Windstoß mehr umblasen. Geradezu lautlos strecke ich meine Hand nach ihr, versuche sie zu fühlen, sie zu streicheln an ihren wunderschönen rotgewordenen Wangen. Ihre Haut zurückhaltend, genau wie sie. Glatt und rau, strahlend und düster.
Meine Beine werden zittrig, ich weiß, dass ich es nicht lange aushalten werde, doch den Moment könnte ich nie zerstören! Nicht jetzt, nicht heute, da ich ihr endlich, in ihrer rotschimmernden Pracht, einen Traum verwirklichen kann! Ich spanne meine Muskeln an, das Gefälle meiner Zehenspitzen wird noch steiler, um noch näher bei ihr zu sein. "Jetzt mach schon! Zeig ihr, was du willst", schaltet sich mein Herz dazu, zu diesen wirren Gedanken im Gehirn.
Langsam, behutsam, doch selbstbewusst strecke ich ihr mein Gesicht entgegen. Mein Gesicht mit seinen glühenden, strahlenden, tiefblauen Augen! Eine leichte Brise lässt mir Haarsträhnen ins Gesicht fallen. Kichernd streiche ich sie weg und wende mich sofort wieder ihr zu. Endlich ist es so weit, endlich ist die Zeit gekommen, um ihr zu sagen, was ich fühle, was ich für sie fühle und endlich traue ich mich es zu tun. Fast schon bei ihr spitze ich meine Lippen und streiche sanft an ihr! Mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln und zu lodern. Ich bin Feuer und Flamme. Vom Kopf bis zu meinem kleinen Zeh. Noch bevor ich mitbekomme, wie mir geschieht, habe ich es schon getan! Eine Flut des Glücksgefühls überströmt mich, in meinem Bauch rumort es als wären dort tausende von Schmetterlingen gefangen, die hinauswollen! Alles wirbelt um mich herum, bis mir schwindelig wird vor Seligkeit!
Zurück auf der Erde überschüttet mich immer noch dieses berauschende Gefühl, als wäre ich auf Wolke sieben! Entspannt stelle ich mich auf meine Fersen zurück, die ganze Anspannung von eben fällt von mir ab. Noch ganz im Rausch lasse ich mir noch ihren kirschroten Geschmack auf der Zunge zergehen. Es ist atemberaubend. Und jetzt so wie sie, so auch ich: Kirschrot!
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