Klassisch
Der Wald brennt, und ich bin mitten drin.
Züngelnde Flammen strecken ihre Finger nach mir aus, sie finden nicht genug am knisternden Leid der wehrlosen Bäume. Sie wollen etwas, was kämpft, und sie wollen gewinnen.
Der Jäger siegt über Gejagtes. Klassisch.
Ich renne.
Renne weg vor ihrer unbändigen Gier nach Existenz, doch ich will auch existieren. Aber wie soll ich existieren, wenn meine Existenz aus klassisch vorhersagbarer Einfallslosigkeit besteht?
Die Beute rennt.
Überall nur Bäume in ihrem letzten Atemzug und Flammen in ihrem ersten. Es ist heiß, die Luft schwirrt, die Sicht verschwimmt. Hauptsache rennen. Aber das Feuer ist überall, es spottet und treibt, wie es ihm lustig ist. Die Beute ist das letzte Ziel, denn die anderen Waldbewohner haben sich feige irgendwohin gerettet, ihre Artgenossen mitgenommen und hoffen jetzt in den hintersten, vergessenen Ecken ihres Verstandes darauf, dass die Beute es auch schafft, aber sie wäre kein großer Verlust, nur ein Klischee, das irgendjemand irgendwann schon wieder ersetzen wird.
Das Klischee rennt.
Es ist allein, allein mit dem, was zurückgelassen wurde. Die Flammen werden drängender, wollen das Spiel vorantreiben, mit stürzenden Ästen und engen Passagen den nächsten todesnahen Stoß geben. Und es wird immer heißer, immer gefährlicher, immer hetzender.
Und dann, dann will das Klischee, die Beute plötzlich nicht mehr. Dann will ich nicht mehr.
Ich bleibe stehen.
Inmitten der Flammen, in die ich mich selbst katapultiert habe. Es ist nicht so, dass ich sie erschaffen habe, nein, sie waren vorher schon da, wer auch immer sie erschaffen hat. Ich habe sie mir nur zu Nutzen gemacht. Mir, und anderen. Diese Verräter.
Jetzt sind die Flammen verwirrt, sie zögern. Was hat man auch an einer Beute, die nicht flieht?
Gejagtes wird zum Jäger, der Jäger wird Gejagtes. Klassisch?
Und dann lache ich. Lache über die Flammen, über die Bäume, die Tiere, so laut, wie ich nur kann, hinaus in die verkohlten Baumkronen und noch viel weiter, nach oben, bis ich etwas erreiche. Das Tor wird geöffnet, Wassermassen prasseln auf die Erde nieder, einzelne Tropfen kaum noch zu erkennen. Sie ersticken die irritierten Flammen an ihrem eigenen Spiel, dem Spiel mit den einzigen Regeln des Jägers und Gejagten, und tanzen um sie herum und singen ihr rettendes und vernichtendes Lied, bis nichts mehr von jener geraubten Existenz zu sehen ist, sondern nur noch ihre Leichen.
Ein kleiner Vogel, grün, die Farbe der Hoffnung, fliegt herum, zwitschert mir fröhlich zu und setzt dann seinen Lebensweg fort. So ein verdammter Heuchler, lache ich.
Der Jäger siegt über Gejagtes. Klassisch!
Und plötzlich verwandelt sich der Regen in Farben, das gesamte Spektrum fällt neben mir auf die Erde, Kleckse in allen Formen und Farben bilden sich, bis ein großes Bild entsteht, größer und weiter als ich schauen kann, und doch kenne ich seine Botschaft, als hätte ich sie schon vor dem Regen gekannt.
Es gibt noch nicht genug davon.
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