KLUG UND SCHÖN ( EIN MÄRCHEN) :
Als Richard auf die Welt kam, war er so hässlich, daß sämtliche Verwandten und Bekannten, die ins Krankenhaus gekommen waren, um den neuen Weltenbürger zu begrüßen, unweigerlich verstummen mussten und schon alsbald unter den vielfältigsten Vorwänden davonschlichen, um draußen vor der Zimmertür die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Das einzige, daß ihn neben seiner vorgeblichen Hässlichkeit auszeichnete, war die Tatsache, daß er bereits mit einem kräftigen Haarschopf ausgestattet war.
Richards Mutter war über das Verhalten ihrer Familie verzweifelt, ihre Patentante (die einzige, die nach der Geburt an ihrer Seite geblieben war) hingegen tröstete sie und versicherte ihr, daß ihr angeblich hässlicher Sohn einen liebenswürdigen Charakter habe, von der vielen Klugheit ganz abgesehen, die er gewiss einmal besitzen werde. „Wie es wohl wäre, wenn diese Weisheit an diejenige abstrahlen würde, welche er in sein Herz geschlossen hat? Ein Feuer entzündet ein anderes und alles erstrahlt in Liebe und Klugheit. Dann würde niemand mehr so hässlich über Dein Kind sprechen.“, sinnierte die Patentante mit versonnenen Augen.
Die Mutter war ein wenig getröstet, umso mehr als ihr Kind in der Tat bereits in jungen Jahren vielerlei Anzeichen von Geist und Verstand an den Tag legte. Er lernte recht schnell zu reden, und was er sagte, war klug und schön. Er tat unglaubliche Dinge, und was er tat, war klug und schön. Schnell verbreitete sich die Kunde von diesem Wunderkind in der Nachbarschaft, bald schon sprach das ganze Dorf entzückt von diesem außergewöhnlichen Knaben mit dem vollen Haar.
Als Richard ungefähr sieben Jahre alt war, gebar die Nachbarin zwei Zwillingsmädchen. Eva, welche nur wenige Minuten vor ihrer Schwester das Licht der Welt erblickte, war von dermaßen großer Schönheit, daß ihre Mutter vor Freude darüber fast verrückt wurde. Um deren Euphorie ein wenig zu dämpfen, blieb der Patenonkel der beiden Kinder noch an ihrer Seite, als sämtliche anderen Verwandten und Bekannten bereits das Krankenhaus verlassen hatten. „Wie es wohl wäre, wenn ihre Schönheit nur noch von ihrer Dummheit überstrahlt würde? Ein Feuer erstickt ein anderes und alles verliert seinen Glanz. Dann würdest Du nicht mehr so großspurig über Dein Kind sprechen.“, sinnierte der Patenonkel mit versonnenen Augen.
Die Nachbarin war ob seiner boshaften Worte erzürnt: „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit meine Prinzessin ihre Mitmenschen mit der ihr gegebenen Schönheit verzaubert. Wer braucht schon übermäßige Klugheit?“. Fortan konzentrierte sich die Mutter vollends auf ihre Erstgeborene, die von Tag zu Tag schöner wurde (während sie darüber dumm blieb), während sie ihre andere Tochter Evelyn, die über die Jahre still und heimlich über an Weisheit gewann, vergaß.
Schnell verbreitete sich die Kunde von diesem wunderschönen Kind in der Nachbarschaft, bald schon sprach das ganze Dorf entzückt von diesem Mädchen mit der außergewöhnlichen Anmut. Eva besaß zwar eine große Anziehungskraft,
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