Können wir noch?
Es regnet. Mein ganzer Leib zittert und der Tag scheint nicht zu enden.
Fünf Stunden davor meldete sich mein Mobiltelefon in meiner Hosentasche und ich nahm den Anruf an. „Ich bin es Meli“, sprach meine Freundin aus der Jugendzeit. Es ist kaum zu glauben, dass wir den Kontakt nie zueinander verloren hatten, obwohl wir Dank unseren Jobs kaum Freizeit hatten. „Hey! Keine Sorge, ich habe unser heutiges Treffen nicht vergessen“, lachte ich laut auf, aber sie tat es mir nicht gleich. Wir hatten uns vorgenommen, heute in einem Restaurant unseren Appetit zu stillen. „Meine Mutter ist tot. Ich kann nicht mehr ohne sie leben. Auf Wiedersehen“, kam es von der anderen Seite der Leitung, und ehe sie sich ausgesprochen hatte, legte sie auf. In diesem Moment war ich verwirrt gewesen und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schlagartig wurde mir klar, dass ich zu ihr nach Hause gehen musste. Ich eilte zu ihrer Wohnung, die sie mit unserem Jugendfreund Benjamin teilte. Sie wohnten seit Jahren zusammen und das hatte heute endgültig ein Ende gefunden. Als ich vor der Haustür stand, begann ich instinktiv mit all meiner Kraft dagegen zu schlagen. Erst später wurde mir bewusst, dass das es zu spät war. Wäre ich doch früher gekommen. Hätte ich sie dann retten können? Warum bekomme ich diese verdammte Tür nicht auf? Aus dem Nichts fiel mir ein, dass ich einen Schlüssel zur Wohnung von Meli erhalten hatte und rasch zog ich meinen Schlüsselbund aus meiner Hose. Mir war es tatsächlich gelungen, die Tür zu öffnen und wie sehr ich es jetzt auch bereuen mag, ich hätte das Apartment nicht betreten dürfen. Es langen Medikamente und deren Packungen auf dem Boden. Der Anblick ihres reglosen Körpers brachte mich zum Würgen und ich entleerte meinen Magen am Flur. Als ich fertig war, schnappte ich tief nach Luft und ging zu Meli. Ich wollte mich vergewissern, ob sie wirklich tot war oder nicht. „Meli, bist du tot?“, fragte ich sie. Wie dumm war ich bitte? Langsam bemerkte ich einen Gestank, der eindeutig nicht von ihr kam. Wie ein Drogenspürhund suchte ich nach der Quelle, welche ich dann auch fand. Starr blieb ich stehen. Kein einziger Muskel in meinem Körper wollte sich bewegen. Das was ich sah, war zu viel für meinen Verstand gewesen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Benjamin lag blutverschmiert auf dem Boden. Schlagartig beschleunigte sich mein Herz sowie mein Atem und mir viel es schwer, meine Lungen mit Luft zu füllen. Ich rannte aus dem Gebäude und sah nicht zurück. Nach einigen Minuten merkte ich, dass es regnete und meine Kleidung durchnässt war. Meine Beine wollten nicht mehr und ich sackte auf die Knie. Mir fielen die Medikamente, die auf dem Boden waren, ein. Ich hätte sie dort liegen lassen sollen und nicht einen Fehler begehen sollen, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Langsam aber sicher schlossen sich meine Augen und ich fragte mich: „Können wir das Geschehene vergessen?“
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